Landnahme
man ihn in die Baracke der Ärztin hätte schaffen können. Nach dem Unfall war er im Bergbau nicht mehr zu brauchen gewesen und, nachdem er vier Monate in einer Kolchose gearbeitet hatte und auch dort nicht von Nutzen war, aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden.
Da seine Heimatstadt nach dem Krieg zu Polen gehörte, sollte er in eine deutsche Stadt der sowjetischen Zone entlassen werden. Er erreichte, dass man ihm die Papiere fürWrocław ausstellte, damit er nach seiner Familie suchen könne. Nach vier Wochen fand er sie in einem Dorf vierzig Kilometer nördlich von Wrocław wieder. Seine Frau war mit der Schwiegermutter und ihrem einzigen verbliebenen Sohn, Bernhards Bruder war ein Jahr nach dem Krieg wegen Unterernährung in ein polnisches Krankenhaus eingewiesen worden und dort gestorben, bei einem polnischen Bauern untergekommen, der selbst erst nach Kriegsende umgesiedelt worden war. Der invalide Haber bemühte sich nun bei den polnischen Behörden um eine Ausreiseerlaubnis für seine Familie, die er nach sechs Monaten erhielt.
Nach Bad Guldenberg war er gekommen, weil er bei der Einreise den deutschen Beamten nicht eine einzige Adresse von Verwandten angeben konnte, die ihn und seine Familie hätten aufnehmen können, denn seine gesamte Verwandtschaft hatte bis zum Ende des Krieges in Schlesien gelebt, und ihre neuen Wohnorte kannte er nicht. Schließlich gab man ihm Papiere für unsere Stadt, weil laut einer Liste in Guldenberg Tischler benötigt würden. Es musste eine sehr eigentümliche Liste gewesen sein, von irgendeiner Behörde willkürlich und nach eigenem Gutdünken angefertigt, und obgleich Haber darauf hinwies, dass er als Krüppel in seinem alten Beruf nicht mehr werde arbeiten können, blieb man bei der Entscheidung. Der Beamte an der Grenzstation nickte zwar, als der Mann ihn auf seine Behinderung hinwies, da Haber auf Befragen keinen anderen Beruf anzugeben wusste, stellte er ihm die Papiere für unsere Stadt aus und sagte, man würde ihm vor Ort weiterhelfen. Die Behörden seien unterrichtet und erfahren genug, einem Kriegskrüppel auf die Beine zu helfen.
Im Guldenberger Rathaus war man weder unterrichtet noch übermäßig willens, ihm zu helfen. Man gab ihm lediglich Lebensmittelkarten und wies ihn bei Bauer Griesel ein, wo Haber mit seiner Familie zwei winzige Dachkammern erhielt, von denen eine mit einem aufgestellten Kanonenofenbeheizbar war, die andere Kammer war im Winter eiskalt.
Bernhards Mutter half der Bäuerin bei der Hofarbeit und erhielt dafür Lebensmittel für die Familie. Sein Vater hatte auch nach vier Monaten weder eine Arbeit als Tischler gefunden, noch wurde er für irgendwelche anderen Tätigkeiten irgendwo eingestellt. Männer wurden zwar gebraucht, aber als einarmiger Krüppel wurde er überall bedauernd abgewiesen. Für die Arbeit in einem Büro fehlten ihm Geschick und Kenntnisse, er las mühselig und war fast Analphabet, da er weder in seinem Beruf noch im Krieg und der Kriegsgefangenschaft das Lesen und Schreiben gebraucht und es im Laufe der Jahre verlernt hatte. Haber war der einzige Kriegskrüppel in Guldenberg, und sein verlorener Arm erinnerte alle Bewohner an die Niederlage und die Demütigung, den siegreichen Alliierten ausgeliefert zu sein. Der fehlende Arm war der Obelisk, den Guldenberg für den verlorenen Krieg und die sieben toten Soldaten der Stadt nicht errichtet hatte.
Im Januar des darauf folgenden Jahres begann Bauer Griesel seinen Maschinenpark durchzusehen, er wechselte die zerbrochenen und schadhaften Teile aus und schärfte die Schneiden. Er fragte seinen ihm zwangsweise eingewiesenen Untermieter Haber, ob er nicht die Holzarbeiten für ihn übernehmen könne, und der Tischler richtete sich in einem abgetrennten Verschlag der Scheune, neben den abgestellten Leiterwagen und den beiden Kutschen und unter den auf einem Zwischenboden gestapelten Strohballen, eine kleine Werkstatt ein, in der er mit den wenigen ihm zur Verfügung stehenden Werkzeugen die benötigten Hölzer zurechtschnitt, hobelte, bohrte und polierte. An den Nachmittagen, wenn sein Sohn aus der Schule zurück war, half dieser dem Vater bei den Arbeiten, die er nicht allein verrichten konnte, so dass er mit seiner Hilfe auch Grobarbeiten ausführen und Deichseln, Göpelstangen und Speichen anfertigen konnte. Der Bauer war mit seiner Arbeit zufrieden,bezahlte zwar nur mit Naturalien, verschaffte Herrn Haber jedoch weitere Kunden, so dass er sich bald einiges Werkzeug
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