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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von Farben und Formen war's, und Eberhard Bodmar beobachtete es mit dem Auge des Journalisten, der alles, was er sieht, gleich geistig in Worte umsetzt.
    »Nehmen wir auch ein Schachbrett?« fragte er. Jelena Antonowna zog die Augenbrauen hoch. In ihrem kurzgeschnittenen Haar wirbelte der Wind ein paar Strähnen hoch. Auch Bodmars Haar wehte über seine Augen, als stäke sein Kopf als Testfigur in einem Windkanal.
    »Wieso Schachbrett?« fragte sie.
    »Ein Taxi, Gosposha Jelena.«
    »Nein.« Ihre dunklen Augen schienen jetzt fast schwarz zu sein. »Gehen wir –«
    »Bis Moskau?« rief Bodmar mit gespieltem Entsetzen. »Dreißig Kilometer? Ich hatte nicht die Absicht, Rußland zu erwandern …«
    Jelena Antonowna verzog das Gesicht, als habe sie an einer Zitrone gelutscht, und ließ Bodmar einfach stehen. Mit schnellen Schritten ging sie hinüber zu dem großen Parkplatz, der halb leer war, denn ein eigenes Auto ist auch heute noch ein Privileg der Moskauer Oberschicht. Daß ein Bauarbeiter oder ein Bäckergeselle mit eigenem Wagen zur Arbeitsstelle fährt, ist ein so phantastischer Traum, daß ihn niemand zu träumen wagt, es sei denn, er nähme es auf sich, als ein Idiot bezeichnet zu werden.
    Bodmar lief Jelena nach und sah, wie sie vor einem schwarzen Moskwitsch-Wagen stehenblieb, ihn aufschloß, aus dem Handschuhfach etwas herausnahm und sich dann umdrehte.
    »Das Presseamt des Informationsministeriums stellt Ihnen einen Wagen zur Verfügung«, sagte sie, als Bodmar erstaunt das massive Auto umkreist hatte. »So war es doch ausgemacht?«
    »Man hatte so etwas angedeutet. Ich wollte mit meinem eigenen Wagen kommen, aber es hieß, das sei nicht notwendig.«
    »Sie haben alle Papiere bei sich? Internationalen Führerschein?«
    »Natürlich. Sogar eine Lebensversicherung über 50.000 Mark. Ich weiß nur nicht, wer sie nach meinem Ableben bekommen soll.«
    »Ihre Frau.«
    »Fehlanzeige, Jelena. Ich bin unbeweibt.«
    »Ihre Eltern.«
    »Meine Mutter starb vor zwei Jahren –«
    »Oh, Verzeihung –«
    »Mein Vater fiel 1942 in Stalingrad –«
    Jelena Antonowa ließ den Autoschlüssel, der an einem Chromkettchen hing, um den Zeigefinger wirbeln. »Und nun will der Sohn nach Stalingrad –«, sagte sie hart.
    »Ja. Ich will auf den Spuren meines Vaters durch dieses Land ziehen. Aber das weiß man doch im Informationsministerium. Die Kollegen vom Moskauer Presseamt fanden die Idee großartig … so sagte es wenigstens der Presseattaché in der sowjetischen Botschaft in Rolandseck.«
    »Und was wollen Sie schreiben?«
    »Was ich sehe und … empfinde.« Zögernd hängte Bodmar das letzte Wort an den Satz, ein Wort, das er eigentlich während seiner Reise streichen wollte. Empfindungen … sie hemmen die Objektivität. Aber jetzt, auf russischem Boden, merkte er, daß es sinnlos war, Gefühlen nicht zu gehorchen und vor Empfindungen wegzulaufen. Dieses Land, diese Menschen, dieser Himmel, unter dem sich soviel Schicksal vollzogen hatte, waren nur zu entdecken, wenn das Herz mitsprach. Rußland mit dem Verstand zu begreifen, ist eine Utopie … wer seine Seele zu Hause läßt, wird in Rußland immer ein Fremder bleiben. Bodmar hatte es nie für möglich gehalten und mitleidig über alle gelächelt, die dieses Gefühl beschrieben; aber bei seinem ersten Schritt auf russischem Boden – auf den Stufen der Gangway bereits – fühlte er, wie sein Herz schwer wurde von dem Erlebnis, in diesem Land zu sein.
    »Bitte, Ihre Schlüssel, die Autopapiere, der Sonderausweis des Innenministeriums … der Wagen gehört Ihnen.« Jelena Antonowna hielt ein Bündel Papiere Bodmar unter die Nase. »Sie wohnen im Hotel ›Ukraina‹ am Dorogomilowskaja-Kai.«
    »Sieh an. Ich kenne das Hotel von Bildern. Ein Palast, ein Wolkenkratzer im Stil einer verzuckerten Hochzeitstorte.«
    »Dreißig Meter hoch, 1.026 Zimmer für 1.500 Gäste. Über Stil und Schönheit kann man sich streiten. Ich finde Ihre westlichen Wolkenkratzer scheußlich. Aufeinandergetürmte Steine, weiter nichts. Fassaden voller Seelenlosigkeit. Fenster wie hundert erblindete Augen. Unsere Bauten erfreuen das Herz. Wir sind stolz auf sie.«
    Jelena öffnete die Wagentür und setzte sich. Sie strich den Rock über ihren Schenkeln glatt und starrte mißmutig über den halbleeren Parkplatz. Die Kolonne der Taxen brummte über die Ausfallstraße nach Moskau. Dazwischen die Busse mit dem bunten Völkergemisch. Ein Ameisenzug in das Herz der Welt, wie der Russe Moskau

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