Liebe ist Finsternis (Valerie Dearborn) (German Edition)
geheilt sein würde. Wenn sie sich nur für ein Weilchen von Lucas fernhalten könnte, würde sie die Chance haben, alles zu überdenken und zu sehen, was echt war und was nur das Blut war.
Sie kroch unter die steifen Laken und schloss die Augen, Schlaf überkam sie augenblicklich.
Ihr Körper zuckte, als ob sie fast gefallen wäre und reflexartig reagierte.
Was, wenn Lucas starb? Nur wegen Marion, die er zu hassen schien. Aber wenn er sie hasste, warum hatte er Marion dann gestattet, so lange zu leben? Sie sprach über ihn, als wären sie seit Jahrhunderten Liebende gewesen. Was war sie für ihn? Sie wollte es wissen. Dann träumte sie, dass sie auf einer Brücke lief.
Dies ist nicht mein Traum .
Es war Nacht und kalt. Sie konnte eine Frau auf sich zukommen sehen. Groß, dünn und hart, langes dunkles Haar um ihre Schultern fließend, ein Kind in den Armen.
Marion.
Kein Traum, eine Erinnerung .
Sie war auf einer Brücke in London und beobachtete Marion durch Lucas’ Augen.
Kapitel 14
London, England
1927
Marion lief schnell, ihre Absätze hallten auf dem Zement wider. Für alle Welt schien sie eine Sterbliche zu sein, die nach einem langen Tag ein schlafendes Kind nach Hause trug.
Lucas beobachtete sie, emotional so beteiligt, als würde er ein schlecht gespieltes Theaterstück sehen. Das beschrieb Marion in der Tat umfassend: ein schlechtes Theaterstück, das nie endete.
Sie zog die Gestalt des Mädchens näher an sich, versuchte sie höher zu heben, so dass ihr Gesicht an Marions Hals gedrückt sein würde. Der schwere rote Umhang rutschte herunter, eine blasse Wange enthüllend, und Marion nahm sich die Zeit anzuhalten, das helle Haar des Mädchens wieder zu bedecken und es so zurechtzurücken, wie sie es wollte.
Marions Taten folgten nie irgendeiner Logik. Sie handelte aus dem Moment heraus.
Ihre ,Kinder‘ lernten oder sie starben. Es durfte kein Weinen oder sich Beschweren geben. Kein Jammern und ganz sicher kein Weglaufen. Marion gefiel die Idee von Widerspruch, dass ihre Kinder Individuen waren und sie trotz ihrer sadistischen Verhätschelungen liebten, aber sie konnten ihr nie geben, was sie wirklich brauchte.
Eine Kontrastfigur. Jemand, der sie niederschlug und dafür sorgte, dass sie nicht aus der Reihe tanzte.
Der Wind wurde stärker, als Marion auf die Brücke über der Themse trat. Ihr Haar peitschte ihr ins Gesicht und wallte um sie wie ein wahnsinniger Geist, die Locken lösten sich . Der Umhang verrutschte erneut und dieses Mal ließ Marion ihn so, während sie sich auf den Wind und das schimmernde Wasser unter sich konzentrierte.
Es war Vollmond, und das Wasser war schwarz wie Tinte und reflektierend, unruhig, aufgrund der Strömung und Brise. Sie sah über das Geländer und lachte dann über etwas. Die Frau war wahnsinnig.
Sie legte das Bündel auf den Boden. Die Arme und Beine breiteten sich sofort aus, auf eine Weise, mit der Marion zweifellos unzufrieden war. Sie machte ein strenges Tsts-Geräusch und hüllte das Mädchen fest in den Umhang, in den dichten Stoff, ein.
Mütter machten dies, um ihre Babys zu beruhigen, also tat sie es für ihre Kinder auch. Das Mädchen war zwölf, so dass es etwas merkwürdig aussah, aber Marion würde das nicht auffallen.
Sie hockte sich auf ihre Hacken, der Knoten vollendet, eine samtene Mumie, bei der nur das Gesicht der Nacht ausgesetzt war. Marion stützte die Hände auf den kalten Zement und beugte sich nach unten, um dem Mädchen einen sanften Kuss auf die Lippen zu geben.
Um Himmels Willen .
Seufzend hob sie es hoch und lief selbstsicher zurück zum Geländer. Mit einem mühelosen Ruck warf sie das Mädchen über die Brücke, wie eine Frau, die einen Nachttopf aus dem Fenster schüttet.
Lucas kam aus den Schatten hervor, und Marion wirbelte herum, ein Kind, das mit einer Süßigkeit erwischt wurde, obwohl Papa es verboten hatte.
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht ging sie zu ihm, die Hände vor sich gefaltet.
„Was ist geschehen, Marion?“
„Nichts.“ Immer noch lächelnd zuckte sie mit den Schultern. Ihr Atem war in der Luft sichtbar, noch warm vom Blut des Mädchens.
„Wie viele sind es dieses Jahr?“
Marion leckte sich nervös die Lippen. „Zwei. Sie war die Zweite dieses Jahr, bloß zwei. Und ihr Tod war ein Fehler. Sie wurde krank.“
Die Lügen waren einfach beleidigend. „Marion, es ist März. Und ich weiß, dass sie weder krank noch eine Ausreißerin war.“
Marion sah einen Moment lang
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