Liebe kennt keine Gefahren
Kapitel 1
1766
Alexander Montgomery streckte in der Kapitänskajüte der Grand Duchess seine langen mageren Beine auf dem mit Teppichen belegten Boden aus und beobachtete, bequem in seinem Sessel zurückgelehnt, wie Nicholas Iwanowitsch einen seiner Diener abkanzelte.
»Ich reiße dir den Kopf herunter, wenn du noch einmal meine Schuhspangen verlegst«, polterte Nick mit rauher Stimme und starkem Akzent.
Alex fragte sich im stillen, ob Großfürsten in Rußland noch immer ihre Untertanen köpfen lassen durften, wenn diese ihre Herrschaft ärgerten.
»Fort jetzt — geh mir aus den Augen! « rief Nick und wies den buckelnden Diener mit schnippenden, von weißen Spitzen umschlossenen Fingern aus der Kabine. »Da siehst du mal wieder, was ich mir hier alles bieten lassen muß«, beklagte er sich bei Alex, als der Diener gegangen war.
»Eine Menge, in der Tat«, pflichtete Alex ihm bei.
Nicholas betrachtete seinen Freund mit gerunzelten Brauen und beugte sich dann wieder über den Tisch mit den Seekarten. »Wir werden ungefähr hundertfünfzig Meilen südlich von deinem Warbrooke die Küste anlaufen. Glaubst du, es findet sich jemand, der dich mitnimmt nach Norden? «
»Ich werde schon jemanden finden«, gab Alex unbekümmert zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und streckte die Beine noch weiter von sich, daß sein langer Körper fast gänzlich die Kabine ausfüllte. Schon vor Jahren hatte er gelernt, seine Gedanken hinter einer heiteren Stirn zu verstecken. Sein hübsches Gesicht verriet nichts von den Sorgen, die ihn bewegten, wenn auch Nicholas etwas von den Gefühlen seines Freundes ahnen mochte.
Vor Monaten, als Alex noch in Italien weilte, hatte er einen Brief von seiner Schwester Marianna erhalten, in dem sie ihn bat, nach Hause zu kommen, weil er dort dringend gebraucht würde. Sie hatte ihm geschrieben, was sie ihm auf Anordnung ihres Vaters unbedingt verschweigen sollte, nämlich daß Sayer Montgomery bei einer Schiffskollision beide Beine zerschmettert worden waren. Sie hatten das Schlimmste befürchtet; aber er hatte überlebt, allerdings als Krüppel, der nun ans Bett gefesselt war.
Erst danach hatte ihm Marianna in ihrem Brief eröffnet, daß sie inzwischen geheiratet habe — einen Engländer, den für ihre kleine Stadt Warbrooke zuständigen Zollinspektor und dieser sei… Sie hatte nur andeutungsweise verlauten lassen, was ihr Gatte für ein Mensch sei und wie er sich machte, weil die Loyalität zu ihrem Mann sie offenbar in Konflikt brachte mit der Loyalität zu ihrer Familie und den Stadtbewohnern, die sie von Kindheit an kannte. Doch Alex las zwischen den Zeilen so manches heraus, was ihn bedenklich stimmte.
Marianna hatte den Brief einem der vielen Seeleute gegeben, die es in Warbrooke gab, in der Hoffnung, daß er Alex erreichen und dieser heimkommen würde. Alex hatte den Brief schon kurz nach seiner Ankunft in Italien erhalten. Der Schoner, mit dem er vor mehr als vier Jahren den Hafen von Warbrooke verlassen hatte, war drei Wochen zuvor untergegangen, und so hatte er am sonnigen Gestade Italiens auf eine neue Position als Schiffsoffizier gewartet, sich aber nicht sonderlich darum bemüht.
In Italien hatte er auch Nicholas Iwanowitsch kennengelemt. Die Zarin und Nicks Familie waren Vettern und Kusinen ersten Grades, und Nick erwartete, daß alle Welt sich dieser Tatsache bewußt sei und ihn mit der ihm dafür gebührenden Hochachtung und Unterwürfigkeit behandelte.
Alex hatte sich mit einer Horde von Seeleuten angelegt, die an einer Bemerkung von Nick, ihren verlotterten Zustand betreffend, Anstoß genommen hatten und ihn deshalb lynchen wollten. Alex hatte seinen Degen gezogen, ihn Nick zugeworfen, und dann zwei Messer aus dem Gürtel gezogen, eines für jede Hand. Gemeinsam hatten sie dann den Angriff der Horde abgewehrt.
Eine Stunde hatte der Kampf gedauert, und als er vorüber war, hingen ihnen die Fetzen vom Leib, aber sie waren auch Freunde geworden. Alexander kam in den Genuß der russischen Gastfreundschaft, die ebenso großzügig war wie ihre Arroganz. Nick nahm Alex an Bord seines privaten Schiffes, eines Loggers, der so schnell war, daß er in den meisten Ländern für illegal erklärt wurde, weil er allen auf dem Meeren verkehrenden Seefahrzeugen davonsegeln konnte. Doch das bekümmerte den russischen Aristokraten nicht, der nur seinen eigenen Gesetzen gehorchte.
Alex richtete sich auf diesem luxuriösen Schiff häuslich ein und genoß es ein paar Tage lang, von
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