Magma
Jedenfalls so lange, bis jemand die Lösung gefunden hat.«
»Aber ich habe sie doch gefunden, oder?«
»Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen …«
»Aber er wird es sein, wenn es uns gelingt, die Kugeln zurückzubringen, nicht wahr? Sag es mir. Du weißt, dass es so ist.«
Konrad nickte zögernd. »Wenn euch das gelingt, wird es den Vorgang aufhalten, das ist richtig.«
»Ich werde versprechen, dein Geheimnis zu wahren. Kein Sterbenswörtchen zu niemandem, so wahr ich hier stehe. Jetzt sind wir noch ungestört. Wer weiß, wie es morgen aussieht. Wir werden kaum Zeit füreinander finden. Du musst es mir sagen,
bitte.«
Wieder versank der Geologe in Schweigen. Die Augen geschlossen haltend, stand er da wie ein Schlafwandler. So absurd der Gedanke auch war, aber Ella hatte den Eindruck, als müsse er sich erst eine Erlaubnis für die Antwort einholen. Nur bei wem? Hier war doch niemand. Es sei denn … ihr Blick fiel auf die Kugel. In ihrem Innern schien irgendetwas zu pulsieren. Durch die geöffneten Klappen drang Licht hervor. Grüne, rote, silbrige Lichtkaskaden schimmerten über die inneren Strukturen des mechanischen Organismus. Es war ein Schauspiel von überirdischer Schönheit.
So schnell wie es begonnen hatte, so abrupt hörte das Lichterspiel wieder auf.
»Ich bin das, was man einen Wächter nennen könnte.« Konrad hatte die Augen wieder geöffnet. »Ich wurde geschaffen, um euch bei eurem Versuch, das Rätsel der Kugeln zu lösen, zu beobachten. Das ist meine Aufgabe, und sie ist beinahe beendet.«
Ella runzelte die Stirn. »
Geschaffen?
Aber du bist ein Mensch. Du bist Francesco Mondari, ein italienischer Geologe, 1954 verschollen in den Südtiroler Alpen.«
Wieder huschte dieser traurige Ausdruck über Konrads Gesicht. »Ich bin vieles, aber ein Mensch bin ich schon lange nicht mehr. Hat dir Helène nichts über die medizinischen Untersuchungen erzählt? Hast du nicht selbst den Tank im Innern der Kugel gesehen? Den Nanokonverter? Mondari ist tot. Er kam bei dem Versuch, die Kugel gewaltsam zu öffnen, ums Leben. Ich bin eine Rekonstruktion. Ein Destillat dessen, was Mondari einmal gewesen ist. Erinnere dich an das, was du im Unterseeboot gesehen hast, oder an meinen Kälteschock in Sibirien. Ich bin nur, weil
sie
ist.« Er deutete auf die Kugel. »Wenn sie geht, werde auch ich gehen.«
Ella schüttelte den Kopf. »Du bist ein Mensch und wirst es immer bleiben. Nur weil sich dein Körper verändert hat, heißt das noch lange nicht, dass sich auch dein Geist verändert hat. Oder deine Seele, wenn du so willst.« Sie malte zwei Anführungszeichen in die Luft. »Was ist denn der Mensch? Genau genommen nur eine Ansammlung von Kohlenstoff und Wasser. Der Marktwert unserer Körpersubstanzen beträgt weniger als einen Euro. Was uns ausmacht, ist, dass wir leben, dass wir atmen, denken und fühlen und lieben.« Ihr kam ein aberwitziger Gedanke. »Kannst du das?«
»Was?«
»Lieben.«
»Ich verstehe die Frage nicht …«
»Hast du dich jemals einem anderen menschlichen Wesen so nahe gefühlt, dass du es ganz für dich allein besitzen wolltest?«
»Ich …«
»Küss mich.«
»Ich soll
was?«
»Mir einen Kuss geben. Die Lippen aufeinanderlegen. Du weißt doch, wie man das macht, oder?«
»Ich finde das unpassend.«
»Unpassend?
Was für ein herrlich antiquiertes Wort für Feigheit.« Es bereitete ihr ein höllisches Vergnügen zu sehen, wie er sich wand. Das war genau die Art von Genugtuung, die ihr vorgeschwebt hatte. Die Rache der Maus an dem Chemielaboranten. »Wir sind doch hier ganz allein. Niemand kann uns sehen. Ich finde dich attraktiv, und dass du mich magst, habe ich damals in der Atacama-Wüste bemerkt. Also komm schon, gib mir einen Kuss. Es ist wirklich nichts dabei.« Mit einem aufmunternden Lächeln hob sie ihren Kopf.
Konrad wirkte hin- und hergerissen, doch dann gab er sich einen Ruck und legte seine Lippen auf ihre. Gerade so lang, dass es nicht unhöflich wirkte. »Zufrieden?«
Ella schüttelte den Kopf. »Das war doch kein Kuss. Warte mal einen Moment.« Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich herab. Der Kuss dauerte beinahe eine halbe Minute und als sie sich voneinander lösten, glaubte Ella eine Veränderung in Konrads Blick zu bemerken. Es war, als habe jemand eine Schranke in seinem Inneren durchbrochen. Sie glaubte sogar, Tränen in seinen Augenwinkeln zu bemerken.
»Ella, ich …«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick ertönte eine
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