Man lebt nur zweimal
Ich mache das gerne: Menschen, die mir vertraut sind, die ich sehr mag, im Schlaf beobachten. An unseren Kindern kann ich mich gar nicht sattsehen, wenn sie schlafen. Im Wachzustand ginge das gar nicht. »Was guckst’n so blöd Papa?« oder ähnliche Fragen würden das schöne Bild, das ich gerade noch vor Augen hatte, ziemlich martialisch zerstören. Also hebe ich mir meine Beobachtungsphasen für die Zeiten auf, in denen die Objekte meiner Begierde pennen. Wie zum Beispiel an einem normalen Sonntagmorgen.
Ich schleiche mich dann ins Kinderzimmer und beobachte unsere schlafenden Kinder. Ich liebe unsere Kinder. Und zwar so sehr, dass eigentlich keine Steigerung mehr möglich wäre. Und dennoch – wenn sie schlafen und so friedlich aussehen, wenn sie sich so ungestört und hemmungslos beobachten lassen, wenn man nichts von ihnen hört, außer den gleichmäßigen, ruhigen Atem und, wenn’s hoch kommt, vielleicht einmal ein wohliges Grunzen – dann, Gott möge mir verzeihen, dann lieb ich sie noch ein klitzekleines bisschen mehr als sonst.
Ich schleiche mich die knarzige Treppe zur Küche hinunter und bleibe vor der Fensterfront stehen. Ich schaue auf den Starnberger See. Auch nach 14 Jahren noch kann ich mich an diesem Blick erfreuen. Tau steht auf der Wiese im Garten und durch den zarten Nebel bricht die morgendliche Sonne, um sich glitzernd im See zu spiegeln. Es kommt mir vor, als sei der Tag in eine Frischhaltefolie verpackt und ich darf ihn als Erster auswickeln.
Nun bereite ich für meine Lieben ein Frühstück vor, das sich gewaschen hat und seinesgleichen suchen dürfte. Meine Rühreier à la Papa sind bekannt bis ins Nachbardorf, in dem einige Freunde meiner Kinder wohnen, die ab und an bei uns übernachten. Mein Obstsalat ist ein sonntägliches Muss. Die Croissants sind frisch aufgebacken und das Knusprigste, das man je erlebt hat, der Tee …
Wenn alles fertig ist, hab ich in der Regel in den oberen Regionen schon erste Lebenszeichen vernommen. Der Duft von gerösteten Zwiebeln, Knoblauch und frischen Croissants ist in dieser Kombination vielleicht nicht jedermanns Sache, aber meine Lieben hat er längst aus ihren Betten springen lassen und für erste Betriebsamkeit gesorgt. Beziehungsweise für den ersten Streit unter den Kindern. Das ist ganz normal bei Maya und Vito. Bis zum Frühstück haben die locker drei Zankereien und eine größere Handgreiflichkeit hinter sich, die in einem Weinkrampf des Unterlegenen endet. Noch schneller als sie sich streiten, versöhnen sie sich wieder. Es ist wirklich unglaublich. Man will gerade Luft holen, um sie zu zwingen, den Streit zu beenden, da liegen sie sich zärtlich in den Armen und busseln sich ab.
Ich rufe dann: »Schnuffi, Schnecke, Tiger, das Frühstück ist fertig!« Es poltert kräftig auf der Treppe, die Kinder kommen in die Küche gerannt und wuseln um mich rum. Wenn sie gut drauf sind, kommen dann Kommentare wie: »Mmh, das riecht aber lecker« oder »Mann, hab ich’n Hunger.« Bei normaler Stimmung eher: »Was gibt’s denn heute?« Bei schlechter Laune: »Schon wieder Rührei« oder »Ich will aber keinen Obstsalat.« Bei Obstsalat gibt es dann allerdings meinen obligatorischen Vortrag: Wie viele Kinder auf der Welt sich die Finger lecken würden nach frischem Obst, geschweige denn einem vom liebsten Pappili der Welt persönlich angefertigten Salat.
Während ich dann die restlichen Köstlichkeiten auf dem Tisch verteile, starten unsere unzähligen Rituale. So habe ich mir zum Beispiel angewöhnt zu fragen: »Wer ist Eurer Meinung nach eigentlich der liebste Pappili auf der ganzen Welt?« Ich finde nämlich, dass mir die Kinder nicht immer die Aufmerksamkeit schenken, die mir gebührt. Sie brauchten natürlich nicht lange, um rauszukriegen, was meine ersehnte Antwort war, und hatten genauso schnell raus, dass ich denjenigen, der als Erster antwortete, für den Rest des Tages ein ganz klein wenig bevorzugte. Oder sagen wir, für die nächsten zehn Minuten. Mit der Zeit wurden sie immer routinierter und schneller. Wenn ich heute, wo auch immer, sage: »Kinder, ich hab da mal ’ne Frage. Wer …«, schnellen ihre Arme hoch und sie zeigen in meine Richtung. Sie schaffen das inzwischen, ohne mich dabei anzusehen und ohne ihre eigentliche Tätigkeit zu unterbrechen. Obwohl das für Außenstehende sehr mechanisch wirken mag und es zum Beispiel bei Viktoria meist nur noch ein augenrollendes Kopfschütteln hervorruft, habe ich persönlich sehr viel
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