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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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    Sie war die reizendste alte Dame, die
ich jemals gesehen hatte Meine eigenen Großmütter nicht ausgenommen.
    Sie trug eins dieser langen, schwarzen,
würdevollen Kleider, wie man sie aus dem Familienalbum kennt oder vom
«Maskenball der Jahrhundertwende», der jedes Jahr im Februar zweimal
stattfindet, einmal davon zu ermäßigten Preisen für die Basis der Gesellschaft.
    Das Kleid saß durchaus auf Taille. Es
hatte ein weißes gekräuseltes Lätzchen und schmale Manschetten von der gleichen
Machart. Über dem Lätzchen baumelte ein Gehänge von Topasen mit einer Fassung
aus der Zeit der letzten Kaiserkrönung. Und über allem war ihr Gesicht. Mild
und hoheitsvoll, wie Marzipan, und kaum ein Fältchen darin. Manche
Fünfzigjährige hätte der Kosmetikerin eine Prämie gegeben, wenn sie ihr diese
Haut hingezaubert hätte. Das Haar war schlohweiß und hochgesteckt, aber es war
etwas Junges an der allen Dame, und ich konnte mir vorstellen, wie sie als
Backfisch ausgesehen hatte, als sie beim Konfirmandenunterricht kicherte und
den Leutnants auf der Straße nachsah. Ihre Augen schienen sonst fröhlich zu
sein und voller Wohlwollen, als hätte sie in zweiundsiebzig Jahren keine
Enttäuschung erlebt und keinen bösen Gedanken gedacht. Aber im Moment waren sie
voll von Sorge und Furcht. Ich hatte mich überschlagen vor Eile. Es sah aus,
als wäre ich wieder mal zu spät da und umsonst.
    Ihre Hand war kühl und weiß wie
Porzellan. Ich nahm meinen Hut ab, ein neues Modell zu fünfunddreißig Mark, auf
das ich stolz war.
    «Oh, Herr Doktor! Wie nett von Ihnen!
Bitte, kommen Sie!» Ich zog den Kopf ein, wie ich es immer tat, obwohl die
Türen in diesem Teil der Stadt meist höher waren als meine
Einmeterfünfundneunzig. Die Diele war ein großes dunkles Hufeisen, wie geschaffen
zum Stromsparen und mit wenig Ozon. Die alte Dame fand mit der Sicherheit eines
Schlafwandlers eine Tür und öffnete sie weit. Helles Licht fiel heraus.
    Ich trat vorsichtig über die Schwelle
und sah mit blinzelnden Augen in den alten Kristallüster. Wir standen in einem
Salon, wie auf der Bühne im ersten Akt eines Gesellschaftsstückes. Matte,
massive Eichenmöbel in unserem furnierten Zeitalter, an der Decke
verschnörkelter Stuck, Englein .mit einer Art von Hakenkreuzen, eine nette
Mischung. Vor dem linken Fenster stand das obere Drittel von Goethe aus Stein
auf einem steinernen Sockel und sah mich aus Olympieraugen an. Die Wände
steckten hinter einer dunkelgrünen Bespannung, unterbrochen von Holzleisten.
Neben Goethe stand ein Flügel mit aufgeschlagenem Deckel und abgegriffenen
Tasten.
    L. Bechstein. 1904.
    Vier Türen gingen ab. Die alte Dame
öffnete die hintere Tür auf der linken Seite. Ich trat hindurch und sah, daß
wir am Ziel waren.
    Es war ein kleines Zimmer mit einem
Geruch nach Baldrian und einem Haufen nicht eingenommener Medizin in der
Schublade. Und etwas von Alter und Tod.
    Eine schmale Balkontür führte hinaus.
Durch das Glas sah ich Blumenkästen und grünes Gewirr und hängende Blüten. An
der linken Wand standen ein Schrank, ein Sekretär, zu allem geeignet, nur nicht
zum Schreiben, daneben ein Topf mit einer düsteren Blattpflanze.
    Das Bett stand rechts an der Wand.
Hochbeinig, hohe Bretter an Kopf und Fuß, hohe Kissen. Ich sah die alte Dame
zum zweitenmal.
    Das gleiche Gesicht. Die gleichen Hände.
Sie waren auf der Brust gefaltet, und zwischen den Fingern wanden sich die
Perlen eines Rosenkranzes. Kein Unterschied zwischen der Farbe des Gesichtes
und der des Nachthemdes.
    Ich hörte ein Geräusch hinter mir, zu
laut für ein Atmen und zu leise für ein Schluchzen.
    «Ist— ist sie schon— ?» fragte die alte
Dame, die noch lebte.
    Ich wußte es noch nicht und schwieg.
Meine Besuchsmappe war neu, wie meine ganze Praxis. Sie roch intensiv nach
Leder und knirschte beim Öffnen. Aus dem Durcheinander von Besuchsbuch,
Rezeptblöcken, Spritzen- und Ampullenschachteln fischte ich mein Stethoskop
heraus. Es war von meinem Vater, mit roten, stark brüchigen Gummischläuchen und
federnden Bügeln, die einem die Oliven unangenehm hart in die Ohren preßten.
Die Membran am Ende der Schläuche trug auf der Rückseite einen kleinen
Trichter, man konnte sie umkippen und das eine oder andere benutzen, aber sehr
viel hörte man mit keinem von beiden. Immerhin sah es sehr ärztlich und
eindrucksvoll aus, und an die Nebengeräusche hatte ich mich gewöhnt.
    Vorsichtig nestelte ich die Knöpfe am
Nachthemd der alten Dame auf, ohne

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