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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Tops hindurch spürte. Ich sprang auf bei dieser vertraulichen Berührung einer vollkommen Fremden. Ich sprang wirklich, wobei ich den heißen Tee über meinen weißen Rock schüttete und mich ordentlich verbrühte. Das alles schien sie nicht zu kümmern. Sie merkte nicht einmal, wie ihre Berührung auf mich gewirkt hatte.
    »Ihr Baby«, meinte sie und deutete auf den Buggy, auf meinen schlafenden Sohn. Ich lächelte höflich, während ich darüber nachdachte, dass ich nun den ganzen Tag mit einem fleckigen Rock herumlaufen musste und dass der Rock vermutlich ruiniert war.
    »Wie hübsch er ist! Es ist doch ein Junge, nicht wahr?« Erst jetzt nahm sie ihre Hand weg und beugte sich zu Louis hinab. Normalerweise hätte ich mich geschmeichelt gefühlt und stolz zugestimmt, hätte mich neben sie gestellt und mit ihr um die Wette gegurrt, doch irgendetwas hielt mich zurück. Sie war mir zu nahe, uns zu nahe, und etwas an ihrem eisblauen Blick störte mich. Ich versuchte, unmerklich meinen Stuhl wegzurücken, doch damit hatte ich sie zwischen mich und das Baby gebracht. Ich wollte nicht unhöflich wirken, aber sie war mir wirklich unheimlich. Obwohl sie durch und durch respektabel wirkte. Dünn wie ein Hering, wie mir sofort auffiel. Was normal sein mag, wenn man von der Schwangerschaft noch das ein oder andere Pfund zu viel auf den Rippen hat. Sie wirkte jugendlich, teures Sommerkleid, Haltung wie ein Rennpferd. Einigermaßen attraktiv, möchte man meinen, auf eine blonde, auffällige Art. Und doch … ich konnte es einfach nicht erklären. Sie hatte etwas an sich, das ich nicht mochte.
    Meine Reflexe waren langsam. Der von durchwachten Nächten wie leere Kopf forderte seinen Tribut.
    »Ja. Er ist … ein Junge. Louis.«
    »Hallo, Louis. Du bist ja so niedlich.« Sie hatte einen leichten Akzent, den ich nicht identifizieren konnte. Irgendwie schien das letzte Wort falsch. Ungeschickt schlug es auf dem Boden auf, zu britisch für eine so offensichtliche Nicht-Britin. Sie strich meinem Baby über die Wangen, seine Augenlider zuckten. Mein ganzer Körper spannte sich an, automatisch krampften sich meine Hände zusammen. Louis machte im Schlaf sanfte Saugbewegungen mit seinem süßen, weichen Mund. »Oh, sehen Sie nur«, hätte ich fast gekräht. »Jetzt sieht er aus wie Käpt’n Schildkröt!« Mein Herz tat einen Sprung.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich stattdessen und versuchte, nicht allzu grob zu klingen, »aber kennen wir uns?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete sie. »Aber jetzt, wo Sie es ansprechen, scheint es mir durchaus möglich. Ihr Gesicht scheint mir irgendwie … vertraut.« Sie lächelte und beugte sich noch einmal zu Louis hinab.
    »Bitte«, sagte ich ein wenig zu hastig, »wecken Sie ihn nicht auf.« Doch in mir schrie es: Rühren Sie meinen Sohn nicht an! Doch laut fügte ich hinzu: »Er braucht Stunden zum Einschlafen.« Später machte ich mir deshalb Vorwürfe. Es war doch dumm, wegen so einer Kleinigkeit gleich alle Beschützerinstinkte aufzufahren. Doch in jenem Moment starrte ich sie nur einfach an.
    »Aber sagen das nicht alle? Lästig, nicht wahr?«
    »Was?«
    »Sie wissen schon: Sie sehen genauso aus wie jemand, den ich kenne, meine Schwester oder ein guter Freund.»«Mit zur Seite gelegtem Kopf und einem bezaubernden Lächeln ahmte sie »alle« nach.
    »Ach so. Ich weiß nicht.« Nervös hielt ich inne. »Wir müssen jetzt gehen.« Lätzchen, Windeln, Wischtücher, alles purzelte zu Boden, und ich hob es wieder auf, wobei ich den Wagen so weit wie möglich von dieser vereinnahmenden Fremden wegschob, die mir die Haare zu Berge stehen ließ. Und wo zum Teufel war Mickey eigentlich abgeblieben?
    Sie tat einen Schritt zur Seite, drehte sich dann aber nochmals zu uns um.
    »Verzeihen Sie.« Dabei deutete sie mit einer entschuldigenden Grimasse auf mein Top. Ich sah hinunter. Es war mir auf der Seite, wo ich Louis gerade gefüttert hatte, über den BH hochgerutscht.
    »Oh«, sagte ich dümmlich. Eine brennende Röte stieg mir vom Hals her ins Gesicht. Hastig zog ich mein T-Shirt zurecht und steckte es in die Hose. Sie schwang eine riesige Tasche über ihre magere Schulter.
    »Viel Spaß bei der Ausstellung«, rief sie zurück, als sie wegging.
    »Danke«, sagte ich zu ihrem Rücken, aber mir war nicht nach Dankbarkeit. Ich fühlte mich gedemütigt. »Dumme Kuh«, brummelte ich. Das war Louis’ Stichwort. Mit einem indignierten Quieken erwachte er.
    »Du hast ja so recht, mein Lieber«, summte ich.

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