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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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vielen Jahren Mozart nicht mehr zur Familie gehörte.
    Er irrte sich. Lichnowsky hatte mich nicht in dem roten Gehrock in der Hofburg gesehen.
    Ich war Mozart.
    Mein Magen schmerzte, als würde sich das Gift, das meinen Bruder umgebracht hatte, durch meine Eingeweide fressen. Ich schlug die Hand aus, die mir der Prinz reichte, um mich zu stützen.
    Das handgeschriebene Blatt in meiner Tasche schien an meiner Hüfte zu pulsieren. Die Idee meines Bruders für eine neue Freimaurerloge.
«Die Grotte.»
    Lichnowskys Lippe zuckte. «Es steht Ihnen wirklich nicht zu, sich in derlei Dinge einzumischen, Madame.»
    «Irgendwie hat die
Grotte
Ihre Vereinbarung mit Pergen gestört», sagte ich. «Was hat Ihnen Wolfgangs neue Loge bedeutet?»
    «Es war die eitle Fantasie eines Mannes, der besser bei seinen musikalischen Leisten geblieben wäre.» Die Stimme eines Richters, der das Urteil über Wolfgang verkündete. Wieder die Augen des Henkers.
    «Sie haben mir erzählt, Wolfgang hätte versucht, die Preußen an der
Grotte
zu interessieren. Wieso hat die
Grotte
meinen Bruder in Gefahr gebracht?» Ich sah Lichnowsky ins Gesicht und erblickte die absolute Rücksichtslosigkeit eines Mannes, der es gewohnt war, mit der Angst zu leben. Mit der Angst vor Pergen.
Pergen weiß es.
«Wolfgang kam aus Berlin zurück und begann mit der Arbeit an der
Zauberflöte,
die er mit freimaurerischen Symbolen anfüllte. Für Pergen musste es so aussehen, dass die Preußen, die die Oper lancierten, ihre subversiven freimaurerischen Ideen unterstützten. Ist es nicht so?»
    Lichnowsky schnalzte mit der Zunge. «Und wenn?»
    «Eine beliebte Oper über eine Geheimgesellschaft. Lanciert vom Feind des Kaisers, dem König von Preußen, der ebenfalls Freimaurer ist. Eingefädelt, als Sie mit Wolfgang zusammen in Berlin waren. Vielleicht ist der Polizeiminister zu der Einsicht gelangt, dass die Loyalität seines Doppelagenten in Wahrheit den Preußen galt?»
    «Um Pergen geht es überhaupt nicht mehr, werte Dame», sagte er.
    «Vielleicht ging es noch nie um Pergen. Aber worum sonst?»
    Er stieß mit der Stockspitze gegen die Wand. «Bei allen Heiligen im Himmel.»
    «Als ich nach Wien kam, habe ich mich gefragt, ob der Mord an meinem Bruder das Resultat von Hofdemels wahnsinnig gewordener Liebe war. Aber die eifersüchtige Raserei dieses Mannes haben Sie provoziert. Was sonst also? Starb Wolfgang wegen zwischenstaatlicher Spitzelei und Pergens geheimen Plänen? Oder gab es zwischen Freimaurern eine Auseinandersetzung darüber, ob Frauen zur Bruderschaft zugelassen werden sollten? Ich fordere die Wahrheit von Ihnen, mein Herr.» Meine Stimme war laut geworden und hallte im Treppenhaus wieder.
    «Madame …»
    «Warum? Sagen Sie mir, warum mein Bruder sterben musste!», schrie ich.
    «Geld.» Lichnowskys Gesicht war rot vor Wut. Er beugte sich von der Stufe über mir herunter. «Pergens Bestechungsgeld. Die preußischen Bestechungsgelder. Das ist alles. Das Geld hat Wolfgang umgebracht.»
    «Sie fürchteten sich mehr davor», flüsterte ich, «dass Pergen seine Zahlungen einstellen würde, als vor Ihrer elenden Schande.»
    Die Bösartigkeit wich aus seinem Gesicht und machte kalter Verachtung Platz.
    Es war also ausschließlich um Geld gegangen, als Lichnowsky Wolfgangs Ermordung organisiert hatte. Um weiterhin Pergens Bestechungsgelder einzustreichen, indem er ihm gegenüber seine Loyalität bewies. Um weiterhin die Zahlungen von den Preußen zu erhalten, die nicht wussten, dass er gleichzeitig für Pergen arbeitete.
    Lichnowsky blickte zu den im Nebel schwankenden Laternen des Hofs hinüber. Ich fragte mich, ob die Entschlossenheit seiner Miene mörderisch war.
    Würde ich einen solchen Ausdruck erkennen? Gewiss hatte er in den Augen der beiden Männer gelegen, die währendder
Zauberflöte
die Loge des Barons betreten hatten. Mir wurde jetzt klar, dass Lichnowsky sie geschickt hatte. Sie mussten draußen gewartet haben, bis Gieseke erschien, um mit Swieten zu sprechen. Dann hatten sie Gieseke hinter die Bühne geschleppt und umgebracht, während ich mich von der Musik meines Bruders bezaubern ließ.
    Wer hatte seine Zugabe gesungen, als diese Schurken auftauchten, um einen Mord zu begehen? Die erstaunliche Koloratur des hohen Fs in der Arie der Königin der Nacht ging mir so klar durch den Kopf, als stünde sie neben mir auf der Treppe.
Der Hölle Rache brennt in meinem Herzen,
sang sie. Die letzten Worte musste Gieseke noch gehört haben. Der gewaltige Zorn

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