Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
übereinander, fuhr sich nervös durch die Haare und versuchte, es sich in dem Lehnsessel bequem zu machen.
»Bevor ich die Frage beantworte, will ich dir zuerst selbst eine stellen.«
»In Ordnung.« Nelly nickte.
»Wenn ich dir von meinen Träumen erzähle, wie hörst du dann zu? Als meine Freundin oder als meine Seelenklempnerin?«
Die Therapeutin lachte. »Also bitte, Mikki! Wir sind in einem Café, nicht in meiner Praxis. Du zahlst mir ganz sicher keine hundertzwanzig Dollar, um hier mit dir zu sitzen. Und lass uns nicht vergessen« – sie beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern –, »dass du seit Jahren meine Freundin bist, aber noch nie meine Patientin warst.«
»Stimmt schon, aber das liegt nicht daran, dass ich keine Probleme habe.«
»Oh, ganz sicher nicht«, erwiderte Nelly mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. »Also erzählst du es mir jetzt, oder muss ich es mit meinen geheimen Therapeuten-Tricks aus dir herauskitzeln?«
»Alles, nur das nicht!« Mikki hob die Hände, wie um eine Attacke abzuwehren. Dann zuckte sie die Schultern. »Na ja, es ist der gleiche Traum wie immer.« Als sie Nellys wissenden Blick und ihre hochgezogenen Augenbrauen sah, seufzte sie und verdrehte die Augen. »Okay, vielleicht hat er sich ein bisschen verändert.«
»Konntest du diesmal sein Gesicht sehen?«, fragte Nelly behutsam.
»Fast.« Mikki starrte auf einen Punkt über dem gemütlichen Backsteinkamin in der Ecke des Cafés. »Eigentlich denke ich, ich hätte sein Gesicht sehen können, aber …«
»Aber?«
»Aber ich …« Sie zögerte.
Nelly gab einen ermunternden Laut von sich.
»Aber ich war so beschäftigt, dass ich mich nicht auf sein Gesicht konzentrieren konnte«, beendete Mikki ihren Satz hastig. Und ziemlich vage.
»Beschäftigt womit?«
Mikki sah vom Kamin auf und begegnete dem Blick ihrer Freundin. »Beschäftigt mit dem erotischsten Traum, den ich je hatte. Da war es mir völlig egal, wie sein Gesicht aussieht.«
»So, sooo …« Nelly zog das Wort genüsslich in die Länge. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du in den anderen Träumen Sex hattest. Jetzt musst du mir den Rest erzählen, unbedingt.«
»Das liegt daran, dass der Traum nicht … oder vielleicht habe ich nicht … ach, ich weiß auch nicht. Aus irgendeinem Grund verändert er sich.« Mikki fand nicht die richtigen Worte, um ihrer Freundin klarzumachen, was mit ihr passierte. »Ich sag’s dir, Nelly, dieser Traum wird immer realer.«
Das schelmische Funkeln verschwand aus Nellys dunklen Augen, und an seine Stelle trat Besorgnis.
»Rede mit mir, Liebes. Was ist los?«
»Ich habe das Gefühl, als würde mein Leben umso unrealistischer, je realistischer meine Träume werden.«
»Erzähl mir von deinem letzten Traum, Mikki.«
Statt zu antworten, zwirbelte Mikki eine Strähne ihrer dicken kupferroten Haare zwischen den Fingern und nahm einen Schluck von ihrem Cappuccino, um Zeit zu gewinnen. Nelly und sie waren seit Jahren Freundinnen. Sie hatten sich in dem Krankenhaus kennengelernt, in dem sie beide gearbeitet hatten, und verstanden sich auf Anhieb gut. Äußerlich hatten sie wenig Ähnlichkeit. Nelly war groß und schlank – eine exotische Schönheit, der man die haitianische Herkunft ihrer Mutter deutlich ansah. Ihr gegenüber wirkte Mikki mit ihren eins siebzig geradezu winzig. Nelly war dunkel, Mikki hell, Nelly hatte eine gertenschlanke Figur, Mikki eine üppige, kurvenreiche. Aber anstatt sich gegenseitig um ihr Äußeres zu beneiden, hatten die beiden Frauen von Anfang an die Einzigartigkeit der jeweils anderen bewundert.
Es war eine feste Freundschaft, die auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt beruhte. Und Mikki hatte keine Ahnung, warum es ihr so schwerfiel, Nelly von ihren Träumen zu erzählen, ganz besonders von dem letzten …
»Mikki?«
»Ich überlege, wo ich anfangen soll«, gab sie vor.
Mit einem kleinen Lächeln nippte Nelly ebenfalls an ihrem Cappuccino und biss in ihren Schokokeks. »Keine Eile. Alle guten Therapeuten haben eines gemeinsam.«
»Ich weiß, ich weiß. Ihr seid alle schrecklich geduldig.«
»Ganz genau.«
Mikki trommelte unruhig mit den Fingern auf dem Rand ihrer Tasse herum. Sie musste sich dieses ganze Traumzeug endlich von der Seele reden. Es war einfach zu seltsam, auf eine hypnotische, verführerische Art.
Aber sie zögerte, und das nicht nur, weil es ihr unangenehm war, die intimen Details preiszugeben, sondern auch, weil ein Teil von ihr Angst hatte, dass
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