Neobooks - Das Leben in meinem Sinn
einen weiteren Karton auszupacken.
Ich platze fast vor Freude. Ein schöneres Geschenk hätte Ben Josie und mir wirklich nicht machen können.
»Du hättest ihre Augen sehen sollen, Berta. Ich musste sie förmlich aus dem Stall zerren, so begeistert ist sie.«
Alberta blickt mit einem breiten Grinsen zu mir auf. »Kann ische mir gut vorstelle, Sarah. Iste ja auck aufregende fur die bambina. Aber gehe mir nur weit weg mit diese Riesentiere. Ho paura – ’abe Angste.«
Ich werfe ihr einen belustigten Blick zu. Um das Thema schnell zu wechseln, deutet Alberta auf den großen Karton vor ihr. »Das sinde die Sacke, die ware glaube ische in die Sekretäre von Ben. Mussene die wieder da einräume, ja?« Ich nicke. »Ja. Warte, ich helfe dir jetzt!«
Schnell streife ich meine Schuhe ab und knie mich auf den Fußboden, direkt neben die geöffnete Pappkiste.
Der Reihe nach reiche ich Alberta die Gegenstände, die ich dem Karton entnehme. Dabei erzähle ich begeistert von
Shadow
und
Louise
, den beiden Arabern, und von Josies Freude an ihnen. »Sie ist genauso verrückt nach den Pferden, wie ich es in ihrem Alter war«, sage ich lachend und greife erneut in den Karton. Nur einen Moment später wandelt sich mein Gesichtsausdruck, als ich auf das Foto in meinen Händen herabblicke.
»Oh nein, das schöne Bild! Wir müssen es unbedingt neu einrahmen und wieder mit aufhängen.« Mit einem kurzen Nicken deute ich auf die vielen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die ihren Platz auch hier wieder an der Wand über Bens Klavier gefunden haben. Dort hängen sie in einer ähnlichen Anordnung wie zuvor, mit wenigen, aber entscheidenden Änderungen: Eine Aufnahme von Ben, der zwischen meinen Eltern vor deren Haus in England steht, ein Foto von Alberta mit Baby Eva im Arm und natürlich auch ein Bild von Josie, haben Bens Fotowand – die nun
unsere
ist – erweitert. Die deutlichste Veränderung stellt jedoch das große Gemälde dar, das Carolins Nachbarin Ben anderthalb Jahre zuvor zu Weihnachten schenkte.
Es hängt genau mittig und bildet gleichzeitig den einzigen Farbklecks zwischen den Schwarz-Weiß-Aufnahmen!
Ich wende mich Alberta zu und reiche ihr das gerahmte Foto, das den gutmütigen italienischen Gärtner mit dem breitkrempigen Strohhut aus Bens Kindheit zeigt. Das Glas vor seinem Gesicht ist gesprungen, eine große Ecke fehlt komplett. Ich erinnere mich nur allzu gut an den alles verändernden Tag, an dem es mir aus den Händen glitt.
»Sieh mal, wie schön! Und ich habe es kaputt gemacht. Es ist mir heruntergefallen, als …« Weiter komme ich nicht. Alberta hat das Bild entgegengenommen. Sofort schnellt eine Hand vor ihren Mund; sie schnappt nach Luft. Bleich wie die Wand, lässt sie sich in den Sessel zurückfallen und sendet ein Stoßgebet gen Himmel.
»Santa maria, madre di dio …«, flüstert sie in ihre vorgehaltene Hand und bekreuzigt sich hastig. Sie starrt auf das Foto, als würde sie einen Geist sehen.
»Alberta! Was ist denn los, um Gottes willen?«, frage ich besorgt.
»Giuseppe … das isse Giuseppe, Sarah. Meine Verlobte.«
»Was?« Ich traue meinen Ohren nicht. »Aber, ich dachte … wie … du hast doch gesagt, er hieß Pino!«, rufe ich, einfach, weil es das Erste ist, was mir zu dieser unbegreiflichen Situation einfällt.
»Giuseppe, Giuseppino, Pino … isse eine Abkurzung«, erklärt sie. »Wo’er hat Ben diese Bild?«
Nur Sekunden später stürze ich die Treppe empor.
»Ben!«, rufe ich immer wieder. »Beeen!«
Ich habe schon mehrfach nach ihm gerufen, bislang jedoch keine Antwort erhalten. Nun stürme ich auf unser Schlafzimmer zu und reiße die Tür auf.
Und da sitzt er.
»Ben, Schatz, warum antwortest du denn nicht? Ich habe … du glaubst nicht … dein Bild … der Gärtner …«
Es nützt nichts, ich muss erst einmal tief durchatmen und meine Gedanken sortieren. Das tue ich … und sehe meinen Mann dabei genauer an. »Ben?«
Er sitzt auf dem dunklen Parkett, inmitten unseres Schlafzimmers, umrahmt von hunderten Papieren und kleineren Gegenständen unterschiedlichster Herkunft und Art, die über den gesamten Fußboden verteilt liegen. Wie gebannt starrt er auf seine Hand herab, in der er eine alte, leicht zerknickte Postkarte hält.
»Engel, was ist passiert?«, frage ich besorgt und lasse mich neben ihm nieder.
Langsam, wie in Zeitlupe, wendet er mir seinen Kopf zu und sieht mich an. Auch er ist kreidebleich – ähnlich wie Alberta zuvor –, und er beantwortet meine Frage nicht.
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