Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
bot.
»Danke, Din. Ich werde ihn in Ehren halten.«
Bevor er den Keim in den wundersamen Lederbeutel steckte
– der beste Ort, den er sich vorstellen konnte, um dieses Geschenk zu bewahren – hob er ihn noch einmal empor. Die letzten Strahlen der Sonne brachen sich in dem grünen, durchscheinenden Material. Tausend Sterne funkelten und alle Farben des Universums zeigten sich.
Yomi hatte schweigend dagestanden und gegen die Tränen angekämpft. Doch jetzt, da Din-Mikkith sich ihm zuwandte, brachen die Bollwerke der Männlichkeit, die die Erziehung seines Stiefvaters in ihm errichtet hatten. »Bist du mir auch nicht mehr böse?«, fragt er den Behmisch unter Tränen.
»Wieso sollte ich dir böse sein?«
»Na, weil ich so unheimlich oft gemeckert habe.«
»So unheimlich oft war es nicht.« Din-Mikkith kicherte, aber es klang nicht so unbekümmert wie sonst. »Es ist schon gut, mein großes Kleines. Für dich war vieles fremd und Furcht erregend. Dein Verhalten war ganz normal. Lebe wohl Yomi, pass gut auf Yonathan auf – und denke manchmal an mich.«
»Das werde ich bestimmt, Din. Ganz bestimmt!«
Din-Mikkith umarmte seine beiden Freunde und drückte noch einmal mit seinen sechsfingrigen Händen die ihren. Dann wandte er sich zum Gehen. An der Schwelle des Höhleneingangs drehte sich der grüne Bewohner des Verborgenen Landes noch einmal um, winkte und schenkte den Gefährten ein letztes Aufblitzen seines absonderlichen, aber lieben Lächelns.
Bald waren Din-Mikkith und Girith im Dunkel der Höhle verschwunden. Verhallend tönten noch einmal die Worte: »Yonathan, liebes Yonathan«. Dann war es still und die Nacht senkte sich über das Tor im Süden.
Epilog
Es sollten Jahre vergehen, bis Menschen erneut das Verborgene Land betreten würden und das Wunder zu Gesicht bekämen, das Din-Mikkith und Girith auf ihrem Heimweg entdeckten. Beim Abstieg aus dem Südkammgebirge durchquerten sie auch wieder jenes traurig-bedrückende Tal, in dem die tote Stadt Ha-Cherem, die Verfluchte, lag. Doch da, wo es zuvor nur Salz anstatt Leben gab, lag jetzt ein friedlicher See, angefüllt mit süßem, gesundem Wasser. An seinen Ufern begannen junge, noch zarte Pflanzen zu sprießen, und auf seinen Wellen schwammen die ersten Vögel.
Die im Kampf zwischen Yonathan und Sethur geschmolzenen Eismassen hatten sich in Leben spendende Fluten verwandelt; ein weiteres Ehrfurcht gebietendes Zeugnis für die unermessliche Macht, die durch den Stab Haschevet wirkte. Auf diese Weise erfüllte sich die Prophezeiung Yenoachs, des ersten Richters Neschans. Ha-Cherem wurde für immer von ihrem Aussatz geheilt. Und sie erhielt den Namen Ha-Mattithyoh, die Gabe Yehwohs.
Din-Mikkith und Girith kehrten erschöpft, aber wohlbehalten in ihr Baumhaus zurück. Doch damit enden nicht die Träume des Jonathan Jabbok. Es sollte sich bald herausstellen, dass die Reise Yonathans und Yomis erst begonnen hatte. Der Weg nach Gan Mischpad, dem Garten der Weisheit, war lang undmit mehr Überraschungen und Abenteuern gespickt, als Yonathan lieb sein konnte.
Verzeichnis von Namen und Orten
Begriffe, die unter ihrem eigenen Namen umfassender erläutert werden, sind kursiv gedruckt.
Arajoth : Name des zweiten neschanischen Richters, der selbst den grässlichsten Kreaturen des Melech-Arez mutig die Stirn bot.
Bar-Hazzat: (neschanisch: »Sohn des Widersachers«) übermenschlicher Herrscher des neschanischen Landes Temánah , der Yonathan eine Menge Ärger beschert.
Behmisch: intelligente, auf Neschan anzutreffende Lebewesen, die eine nicht unerhebliche Rolle in Yonathans Leben spielen. Einer von ihnen, Din-Mikkith mit Namen, nimmt dabei einen besonderen Platz ein. Behmische sind geschlechtslos, fast immer nackt und sehr wandelbar, was die Färbung ihrer Haut betrifft. Sie sprechen mit den Lebenden Dingen (mit Pflanzen und Tieren) und können in ihrem Keim das gesamte Wissen ihres etwa dreihundertjährigen Lebens speichern, um es an ihre Nachkommen weiterzugeben.
Benel: (neschanisch: »Sohn Gottes«) ein Bote Yehwohs , der Yonathan beunruhigende Nachrichten bringt. Cedan: größter Strom Neschans und Namensgeber vieler Einrichtungen, die Menschen ersonnen haben. Cedanisches Kaiserreich: Herrschaftsgebiet des Kaisers Zirgis , das den größten Teil der bekannten Länder Neschans umfasst; gelegentlich auch die »Länder des Lichts« genannt, weil sie über Jahrhunderte ein Bollwerk gegen Temánah , das Reich des dunklen Herrschers
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