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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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werden sollte, einem düsteren Haus mit blaugestrichener Fassade, war nicht da. Es war kein Geld geschickt worden. Der Kassierer, an Donnerstagen und Freitagen jede zweite Woche abgelöst von einer Kassiererin, die ein wenig Norwegisch sprach, teilte ihm jedes Mal mit einer rauhen und fast tonlosen Stimme dieselbe Tatsache mit, aber sowohl der Kassierer wie die Kassiererin taten dies mit dem gleichen mitleidig beschämten Lächeln, als wäre der Mann nicht alt genug, um sich seiner selbst zu schämen, oder als würden sie selbst ihm gern Geld auszahlen, in der Form eines privaten Kredits, wenn nicht die strengen Vorschriften der Branche sie daran gehindert hätten.
    Trotzdem empfand er dieses Banklächeln als persönliche Kränkung. Gebrochenes Norwegisch machte die Sache nicht besser. Seit bald drei Monaten hatte er die Filiale unverrichteter Dinge verlassen. Es gab kein Geld zu holen. Der Zwang, eine solche Bank vergeblich aufzusuchen, wäre schon ohne dieses Lächeln demütigend genug, und diese Demütigung würde nicht ausgelöscht werden, selbst wenn sich zeigen sollte, dass wider alles Erwarten und von einem Tag auf den anderen – der Mann setzte mittlerweile seine ganze Hoffnung auf Cedergren – plötzlich Geld auf dem Konto gewesen wäre.
    Also zog der Mann es vor, sich fernzuhalten. Wie seine Nachbarn hatte er begonnen, hinter verschlossenen Türen viel Zeit in der Wohnung zu verbringen. Doch die Hitze war fast unerträglich. Schon in der ersten Juniwoche war er gezwungen gewesen, bei drei geöffneten Fenstern zu schlafen, auch das in der Küche hatte er weit aufgemacht, aber durch die Fenster kam bis zur frühen Morgendämmerung keine Kühle. Da hatte es der Mann bereits geschafft, alle Versuche zu schlafen aufzugeben; im graubleichen Morgenlicht lag er erschöpft und klatschnass auf dem Rücken im Bett.
    Dieses Morgenlicht würde bei Anbruch des Tages von aller Feuchtigkeit in der Luft und dem Ruß der Lokomotiven unten am Hudson River bald die Farbe wechseln. Mit vom Schlafmangel schmerzenden Kreuz und Nieren und dem Kopf schwer wie ein Mehlsack blieb der Mann im Bett liegen, wo er sich die ganze Nacht lang gedreht und gewendet hatte, als hätte er unter den Laken nach jemandem gesucht oder wenigstens nach dem Schlaf, der ihm in dieser Wohnung, im siebzehnten Stock, verwehrt wurde.
    Vermutlich war es ein Fehler gewesen, in dem Haus eine Wohnung unter dem Dach zu mieten. Nach jeder schlaflosen Nacht war der Mann von dieser Tatsache überzeugt. Es wäre besser gewesen, weiter unten zu wohnen.
    Aber auch Friedmann und Cohn mussten doch wohl manchmal einen Fehler begehen. Der Mann überlegte eine Weile, was für Fehler das sein könnten, bestimmt von ganz anderer Art als seine eigenen, aber ohne dass er sie sich richtig hätte vorstellen können. Solange er in Europa gewesen war, hatte er nichts von Menschen wie Friedmann und Cohn gewusst; erst in Amerika hatte er solche Leute von nahem gesehen und war sogar gezwungen gewesen, mit ihnen zusammen zu wohnen. Wie hätte er etwas von ihren Irrtümern wissen sollen, wenn er nicht einmal etwas von ihren Verdiensten wusste? Und jeden Tag war es das Gleiche: wenn er einigen von den Nachbarn zufällig im Treppenhaus auf dem Weg hinaus oder herein begegnete, diesen dunkel flackernden Schatten, unterwegs von oder zu ihren schwarzgekleideten Frauen, die den ganzen Tag mit ebenso schwarzgekleideten Kindern oder mit der Essenszubereitung in der Küche beschäftigt waren, grüßten sie ihn zwar, aber eben nur nachlässig und flüchtig, und ihr Lächeln war hart und höhnisch.
    An solchen Morgen oder Abenden kam es vor, dass der Mann es bereute. Es war ein Fehler, jemanden zu grüßen, bloß weil eine solche Person sich Nachbar nennen durfte. Immerhin war der Titel des Mannes im Lager unten am Hafen »Bürovorsteher«. Auch wenn dieses Büro nicht mehr war als ein Verschlag und er einen großen Teil seiner Arbeitszeit trotz seines Titels in der Gesellschaft seiner Untergebenen mit einem Besen in den Händen verbrachte, während der Freund, der ihm diese Stellung im Lager verschafft und selbst einen solchen Erfolg in Amerika gehabt hatte (Patente und verschiedene Bergwerksgeschäfte), ohne auch nur anwesend zu sein, die Ehefrau des Mannes zu Hause in Stockholm in seinen Armen hielt.
    Auch war es ein Fehler gewesen, eine solche Person als Freund zu betrachten. Und die Untergebenen im Lager? Sie erschienen ihm stumpfsinnig oder, wie er selbst, ohne jedes Interesse für die

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