Notluegen
Mann eingehend zu mustern, als stünde er mitten in dem schonungslosesten bloßstellenden Licht, das man sich vorstellen kann und das auf diesem Kontinent bei Polizeiverhören oder in Operationssälen verwendet wurde.
Es war Mittwoch Abend. Regen lag in der Luft. Das Gesicht des Mannes war von kleinen, fast unsichtbaren Tropfen leicht befeuchtet, der Asphalt blinkte ölig schwarz mit silbernen Schlingen in dem Schwarzen, obwohl es bisher nur genieselt hatte und nicht einmal sicher war, ob viel mehr kommen würde, aber allein schon die Möglichkeit, dass es bald richtig regnen könnte, ließ die Menschen sich noch mehr beeilen als sonst; einige hatten Regenschirme aufgespannt, die hier und da wie schwarzer Schaum auf dem Menschenmeer dahinflossen. Nur diese Frau am Wurststand wirkte so, als ginge sie der Regen nichts an, und wenn auch Stil und Form noch Macht über den Mann hatten, obwohl sie nichts mehr bedeuteten, nicht hier in Amerika, wurde ihre Anwesenheit doch zu einer beunruhigenden Erinnerung daran, dass er während einer Zeit von fünf Monaten gezwungen gewesen war, sich selbst zu zügeln, dass ihm seit seiner Landung in New York eine Frau fehlte, und der Mann drehte sich zu der Unbekannten hin und sprach sie an.
Die Frau lächelte ihn an. Ihre Lippen waren voll, und jetzt in der Abenddämmerung mit Regen in der Luft glänzten sie fast wie der Asphalt. In Europa, sagte er sich hinterher, hätte das nicht passieren müssen.
Ohne Fragen zu stellen, war die Frau ihm ins Haus gefolgt. Der Mann war erleichtert darüber, dass sie keinen seiner Nachbarn getroffen hatten. Im Lift hatte er es vermieden, sie anzusehen. Zusammen waren sie im siebzehnten Stock ausgestiegen, wo er die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen hatte.
Drinnen hatte die Frau einen raschen Blick um sich geworfen, als suche sie nach Gefahren, einen raschen und, wie es dem Mann erschien, geübten Blick, aber da es in seinem Zimmer nichts anderes zu sehen gab als die billigen Möbel, seine Kleider auf dem Stuhl am Fenster, die verblichenen Gardinen und ein paar Zeichnungen aus dem New Yorker , die er an der Wand zum Schlafzimmer angepinnt hatte, war diese plötzliche Wachsamkeit fast genauso abrupt aus ihrem Gesicht verschwunden, wie sie dort aufgetaucht war.
Wie ein Tier, hatte der Mann gedacht, eine Katze vielleicht, und wieder lächelte sie ihm zu.
Es war das gleiche Lächeln wie unten auf der Straße, überschwenglich, feucht glänzend, aber zugleich gekünstelt, freundlich und trotzdem kühl steif, und es war dieses Lächeln, das den Mann erst jetzt darauf aufmerksam machte, was er im Begriff war zu tun: seine Frau zu betrügen.
Sofort begann die Frau sich auszuziehen, so schnell, als hätte die drückende Schwüle sie überrascht oder als wollte sie alles so schnell wie möglich erledigt haben, an nichts anderem interessiert als an der Bezahlung für ihre Dienste. Der Mann hatte nichts dagegen. Auch er wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen, eigentlich wollte er sie jetzt schon loswerden, sobald wie möglich wieder allein sein.
Einen kurzen Moment lang erwog er, sie sofort wegzuschicken, aber die Begierde war stärker, und jetzt stand die Frau nackt da und hob ihm ihre Brüste entgegen.
Wie eine Hure, dachte der Mann, und so musste auch seine Frau dem sogenannten Freund ihre Brüste entgegengehalten haben, so oft und willig, dass eine Ohrfeige keine ausreichende Bestrafung gewesen wäre.
Doch diese Brüste gehörten einer anderen Frau, und der Mann griff danach. In der Küche surrte der Deckenventilator. Durch das offene Fenster hörte man das Brausen der Stadt und das Hupen der Autos von der Straße unten, aber fern und gedämpft, als wäre der Verkehr in einen großen, flauschigen Teppich eingerollt.
Auch der Mann hatte begonnen, sich auszuziehen, auf einmal unangenehm von seinem eigenen Körper überrascht, mit weichem schlaffen Fleisch wie ein Fischbauch; als er die Hose ausziehen wollte, blieb sie irgendwo unter den Knien hängen, fast wäre er gestolpert und hingefallen.
Wie sollten dieser Frau seine Krampfadern und diverse andere Defekte entgehen? Am liebsten hätte er sie streicheln wollen und ihr zuflüstern, dass auch sie ihn streicheln solle, lass uns hier auf dem Sofa liegen und einander nur streicheln, hätte der Mann gern zu der Frau gesagt, damit wäre er mehr als zufrieden gewesen, und danach hätte man weitergesehen, aber jetzt wäre er fast wieder über die Hose gestolpert, die in einem Haufen auf
Weitere Kostenlose Bücher