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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Weigerung gesprochen worden, aber auch die begleitende Gebärde wohl erfassend. »Nur ein ganz kleines Gläschen mit einem bissel kaltem Wasser und einem Stückchen Zucker?«
    Mr. Bumble hüstelte.
    »Nur ein ganz kleines Gläschen«, wiederholte Mrs. Mann ihre Bitte in dringendem Ton.
    »Was ist es denn?« fragte der Kirchspieldiener.
    »Ach Gott, ich muß immer ein bisserl davon hier haben, daß ich den lieben Kleinen eine kleine Herzstärkung geben kann, wenn ihnen nicht recht gut ist, Mr. Bumble«, erwiderte Mrs. Mann, öffnete ein Schränkchen und holte eine Flasche und ein Glas hervor. »Es ist Genever, ich will Ihnen nichts vormachen, Mr. Bumble, es ist nur Genever.«
    »Geben Sie denn den Kindern Schnaps, Mrs. Mann?« fragte der Kirchspieldiener und verfolgte mit den Blicken den interessanten Prozeß der Mischung.
    »O mein, ich tue’s halt, so teuer es auch kommen mag«, versetzte die Pflegefrau. »Sie wissen doch, ich könnt die armen Kleinen niemals nicht leiden sehen.«
    »Nein, nein«, sagte Mr. Bumble zustimmend, »Sie können es nicht. Sie sind überhaupt eine sehr humane Frau« – dabei setzte sie das Glas vor ihn hin – »ich werde nicht versäumen, bei der nächsten besten Gelegenheit es den Vorständen gegenüber zur Sprache zu bringen, Mrs. Mann«, (dabei zog er das Glas näher zu sich) »Sie fühlen wie eine Mutter«, (dabei ergriff er das Glas) »Ich trinke hiermit auf Ihre Gesundheit, Mrs. Mann« (dabei goß er das Glas zur Hälfte hinunter). »So und jetzt wollen wir vom Geschäft reden«, sagte er und holte ein ledernes Taschenbuch hervor. »Der Knabe, der in der Waisentaufe den Namen Oliver Twist bekommen hat, wird heute neun Jahre alt.«
    »Gottes Segen über ihn«, warf Mrs. Mann dazwischen und konnte nicht umhin, sich die Augen mit der Schürze zu trocknen.
    »Trotz der ausgeschriebenen Belohnung von zehn Pfund, und später sogar von zwanzig Pfund, und trotz der geradezuübernatürlichen Anstrengungen des Kirchspiels«, fuhr Mr. Bumble fort, »sind wir nicht imstande gewesen, seinen Vater zu eruieren oder in Erfahrung zu bringen, wie seine Mutter hieß, was sie war und woher sie stammte.«
    Mrs. Mann hob erstaunt die Hände gen Himmel, dachte einen Augenblick nach und fragte: »Wie kommt es denn dann, daß er überhaupt einen Namen hat?«
    Der Kirchspieldiener warf sich in die Brust und antwortete: »Den hab ich erfunden.«
    »Sie, Mr. Bumble?«
    »Jawohl, ich, Mrs. Mann. Wir benennen unsre Zöglinge immer nach dem Alphabet. Zuletzt hielten wir bei S – Swubble, so nannte ich das vorletzte Waisenkind, und der nächste war ein T – Twist; ich habe ebenfalls den Namen erfunden. Wenn wieder einer kommt, wird er Unwin heißen, und der Nächstfolgende Vilkins. Ich habe mir schon eine ganze Reihe von Namen ausgedacht, durchs ganze Alphabet hindurch; und wenn ich bei Z angekommen bin, fange ich beim A wieder an.«
    »Ja, ja, Sie sind halt fast ein Dichter«, sagte Mrs. Mann.
    »Nun, nun, mag sein«, gab der Kirchspieldiener zu, durch dieses Kompliment sichtlich geschmeichelt; »mag sein, Mrs. Mann.« Damit trank er sein Glas aus und setzte hinzu: »Oliver ist jetzt schon viel zu alt, um noch länger hier bleiben zu dürfen. Deshalb hat die Behörde beschlossen, ihn wieder zurück ins Arbeitshaus zu nehmen. Ich bin selber hergekommen, um ihn abzuholen. Wo steckt er?«
    »Ich werde ihn sogleich holen«, sagte Mrs. Mann und ging zur Türe.
    Gleich darauf erschien sie wieder mit Oliver, der inzwischen gewaschen, gestriegelt und angekleidet worden war.
    »Mach ein Buckerl vor dem Herrn, Oliver«, sagte sie.
    Oliver machte einen Kratzfuß, der zur Hälfte dem Kirchspieldienerund zur anderen Hälfte dem Dreispitz auf dem Tische galt.
    »Willst du mit mir gehen, Oliver?« fragte Mr. Bumble feierlichst.
    Oliver wollte schon antworten, daß er jederzeit aufs bereitwilligste mit wem immer fortzugehen willens sei, blickte aber zufällig dabei Mrs. Mann an, die hinter den Stuhl des Kirchspieldieners getreten war und Oliver mit fürchterlicher Miene mit der Faust drohte. Er begriff sofort, denn er wußte nur zu gut, was diese Faust alles vermochte.
    »Kommt sie auch mit?« fragte er schüchtern.
    »Nein, sie kann nicht mitkommen«, sagte Mr. Bumble, »aber sie wird dich schon zuweilen besuchen dürfen.«
    Das war gewiß kein besonderer Trost für Oliver, aber trotz seiner Jugend hatte er Grütze genug, sich zu stellen, als verließe er das Haus nur ungern, und überdies waren ihm die Tränen infolge des

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