Oma packt aus
prall gefüllt in Oma Gretes Einkaufsnetz am Lenker und ließ bei jedem Schwenker einen köstlichen Duft entweichen. Gut gelaunt radelte ich durchs Dorf zurück zum Hof. An irgendwelche Schatten dachte ich einfach nicht mehr. Lieber an den vor mir liegenden Tag, der etwas Ruhe und Entspannung in mein neues Leben bringen sollte. Die vergangenen Wochen waren auf dem Lüttjenshof für uns alle ziemlich hektisch gewesen.
Es war einige Zeit ins Land gegangen, bis sich jeder in seiner neuen Rolle zurechtgefunden hatte.
Mehr oder weniger gut übrigens.
Grete und Marie waren noch am besten dran gewesen. Sie hatten einfach weitergemacht wie bisher, nicht ahnend, dass der Rest der Familie ihr uraltes Geheimnis um den einzigen Sohn kannte. So bereiteten sie wie gewohnt das Frühstück für die Feriengäste und kochten für die Familie. Wie sie es schon immer getan hatten. Abgesehen von ihrem beiderseits geliebten Hermann fehlte ihnen nicht viel, und sie gingen jeden Tag zum Friedhof – abwechselnd, versteht sich.
Jan war längst wieder in Hamburg und arbeitete im Friseursalon. Er kam aber öfter zu Besuch als früher. Das hatte weniger mit seiner brüderlichen Liebe zu mir als mit Hans-Dieter zu tun, der früher in unserer Clique noch Didi geheißen hatte.
Papa musste die Alleinherrschaft über den Hof abgeben und sich an seine Tochter als gleichberechtigte Partnerin gewöhnen – wobei ich mir oft auf die Zunge biss. Sonst hätte ich ihn dreimal am Tag daran erinnern müssen, dass ich die Haupterbin war. Nicht er.
Etwas unkorrekt also, die Sache mit der Gleichberechtigung.
Mama ihrerseits gab sich alle Mühe, die brave Landfrau zu spielen, und sie fuhr nur noch recht selten nach Hamburg in ihre Wohngemeinschaft voller Alt-Hippies, um dort mithilfe von Pendeln, magischen Kristallen und der einen oder anderen Haschpfeife sich selbst oder was auch immer zu finden.
In letzter Zeit wieder häufiger.
Obwohl meine Eltern sich so prächtig versöhnt hatten, schlich sich langsam der alte Trott zurück in ihr Leben.
Irgendwer würde Olaf Lüttjens mal daran erinnern müssen, dass er seiner Heidi eine Indienreise versprochen hatte. Und zwar bald.
Schien er vergessen zu haben.
Irgendjemand. Nicht ich, bitte. Hatte genug eigene Sorgen.
Ich bremste ab. Keine fünfzig Meter entfernt lagen schon der Lüttjens- und der Küpperhof einträchtig nebeneinander. Die Morgensonne war ein Stückchen höher geklettert und beschien jetzt das leere Storchennest auf unserem Reetdach.
Kam mir plötzlich wie ein böses Omen vor.
Was natürlich Quatsch war.
Das Storchenpaar, das vorübergehend dort pausiert hatte, war längst weiter nach Afrika geflogen. Die zwei waren im September mit ihrem Flug nach Süden recht früh dran gewesen. Doch jetzt, Anfang November, hatten Störche in Norddeutschland wirklich nichts mehr zu suchen.
Trotzdem.
Ich musste an Opa Hermanns Behauptung denken. Am Tag meiner Ankunft vor dreiunddreißig Jahren seien nach langen Jahren die Störche auf den Dachfirst zurückgekehrt.
So ging die Familienlegende.
Mit Ankunft war gemeint, dass mich jemand auf der Türschwelle der Lüttjens’ abgelegt hatte.
Nachdem ich Nordergellersen dann verlassen hatte, um nach München zu gehen, war auch das Nest wieder leer geblieben.
Bis ich vor zwei Monaten heimkehrte. Plötzlich war das Nest für kurze Zeit wieder bewohnt, vielleicht von den Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Enkeln meines Storchenpaares von damals.
Aber Cindy und Bert mussten bald darauf nach Afrika weiterfliegen. Das hatte nichts zu bedeuten. Ich war glücklich! Ich war daheim! Ich liebte Paul!
Äh, Cindy und Bert.
Marie hatte es nicht lassen können und auch dieses Storchenpärchen getauft. Meine Großtante, die in Wahrheit meine Oma gewesen wäre, wenn ich nicht als Findelkind Eingang in die Familie gefunden hätte, Marie also, liebte nicht nur Heino, sondern auch andere deutsche Schlagersänger, und zwar nicht die allerfrischesten. Für Marie musste eben alles beim Alten bleiben.
Inklusive Storchentaufe.
Bye, bye, Cindy und Bert. Kommt bald wieder. Dann kann ich vielleicht wirklich daran glauben, dass in meinem Leben alles so läuft, wie ich mir das ausgemalt habe. Dass Paul mich zum Beispiel genauso innig liebt wie ich ihn, obwohl er neuerdings ein bisschen kurz angebunden ist.
Mein Blick war immer noch auf das leere Storchennest gerichtet. Wie festgetackert. Meine Füße wollten in die Pedale treten. Alle Welt wartete auf die frischen Brötchen, die Urlaubsgäste
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