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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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ihm gern recht. In Wirklichkeit war ihr nicht allzu viel an der Gesellschaft von Robert und Mary gelegen. Da mochten die beiden noch so viel Hilfe anbieten, sie fühlte sich in ihrer Nähe unbehaglich und irgendwie schuldig.
    In das Heulen des Windes mischte sich ein neues Geräusch – der Motor eines Wagens. Scheinwerferlicht ergoss sich über den Platz und erhellte kurz die Kirchenpforte, vor der sich aus herumwirbelnden Blättern ein Haufen gebildet hatte. James parkte auf dem Kopfsteinpflaster, stiegaus und warf die Tür mit einem kräftigen Schlag zu. In dem Moment kam Dan Greenwood aus der Alten Schmiede. Er war genau so angezogen, wie Emma es sich vorgestellt hatte, trug Jeans und den blauen Kittel. Sie erwartete, dass er die großen Türflügel zuziehen und mit einem Schlüssel zusperren würde, den er an einer Kette an seinem Gürtel trug. Dann würde er ein schweres Vorhängeschloss aus Messing durch die Eisenringe schieben, die sich an beiden Türen befanden, und das Schloss zurechtrücken. Dieses Ritual hatte sie schon oft vom Fenster aus beobachtet. Doch jetzt ging er über den Platz auf James zu. Er trug schwere Arbeitsstiefel, die laut auf den Pflastersteinen hallten, sodass James sich umdrehte.
    Als sie die beiden zusammen sah, fiel ihr auf, wie verschieden sie doch waren. Dan war so dunkel, dass man ihn für einen Ausländer halten konnte. In einem Horrorfilm hätte er gut den Mörder spielen können. Und James war ein blasser, höflicher Engländer. Plötzlich beunruhigte es sie, dass die beiden Männer sich einfach so begegneten. Auf keinen Fall konnte Dan etwas von ihren Phantasien ahnen. Sie hatte nichts getan, was sie verraten könnte. Vorsichtig schob sie das Fenster nach oben, um zu hören, was die beiden sprachen. Die Vorhänge blähten sich im Wind. Eine Brise, die leicht nach Salz schmeckte, wehte herein. Sie kam sich vor wie ein Kind, das heimlich der Unterhaltung von Erwachsenen lauscht, einem Elternteil und dem Lehrer vielleicht, die über seine schulischen Leistungen sprachen. Keiner der beiden Männer hatte sie bemerkt.
    «Hast du Nachrichten gesehen?», fragte Dan.
    James schüttelte den Kopf. «Ich komme gerade von einem lettischen Containerschiff. Hab mich in Hull nur kurz abgemeldet und bin direkt nach Hause gefahren.»
    «Dann hat Emma dir auch nichts gesagt?»
    «Sie interessiert sich nicht sonderlich für die Nachrichten.»
    «Jeanie Long hat Selbstmord begangen. Ihr Antrag auf Bewährung wurde erneut abgelehnt. Das war vor ein paar Tagen. Sie haben die Meldung ein paar Tage zurückgehalten.»
    James stand da, den Autoschlüssel in der Hand. Er hatte immer noch seine Uniform an und sah auf eine altmodische Weise flott aus, als gehörte er der Zeit an, in der das Haus erbaut worden war. Die Messingknöpfe an seiner Jacke schimmerten matt im Licht der Laternen. Seine Mütze trug er unter dem Arm. Emma erinnerte sich an die Zeit, als sie noch Phantasien über ihn gehabt hatte.
    «Ich glaube nicht, dass sich für Em dadurch viel ändert. Nicht nach all der Zeit. Sie hat Jeanie doch nicht gekannt, höchstens mal gesehen. Und sie war noch sehr jung, als das alles passiert ist.»
    «Sie wollen den Fall Abigail Mantel wiederaufnehmen», sagte Dan Greenwood.
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Emma fragte sich, woher Dan das alles wusste. Hatten die beiden Männer schon zu anderen Gelegenheiten über sie gesprochen, ohne dass sie es beobachtet hatte?
    «Weil Jeanie Long sich umgebracht hat?», fragte James.
    «Weil sich ein neuer Zeuge bei der Polizei gemeldet hat. Scheint ganz so, als hätte Jeanie Long die Kleine gar nicht umbringen können.» Er hielt inne. Emma sah, wie er sich mit seinen kräftigen Fingern die Stirn rieb, als versuchte er, die Erschöpfung wegzureiben. Sie fragte sich, weshalb er einen zehn Jahre alten Mordfall so wichtig nahm. Dass er ihn wichtig nahm, dass er darüber nachgegrübelt hatte, spürte sie. Dabei hatte er damals noch nicht einmal hier im Dorf gewohnt. Er ließ die Hände vom Gesicht sinken.Auf seiner Haut waren keine Spuren vom Ton zurückgeblieben. Er musste sich die Hände gewaschen haben, bevor er aus der Schmiede gekommen war. «Eine Schande, dass niemand sich die Mühe gemacht hat, es Jeanie zu erzählen, was?», sagte er. «Sonst wäre sie vielleicht noch am Leben.»
    Ein plötzlicher Windstoß schien die beiden Männer auseinanderzuwehen. Dan lief eilig zurück zur Alten Schmiede, um die Türen zu versperren. Der Volvo verriegelte sich

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