Optimum - Kalte Spuren
gerade recht.
Nur, dass der Anorak nicht da war. Rica blieb vor den Haken stehen und musterte die Reihe von Jacken, die dort hingen. Gestern nach dem Skiunfall hatte sie ihre rote Jacke hier aufgehängt, zwischen Nathans nachtschwarzem und Robins giftgrünem Anorak. Aber der Haken war leer.
Verwundert drehte sie sich um und spähte in den Aufenthaltsraum. Vielleicht hatte jemand ihre Jacke versehentlich an sich genommen? Doch die meisten Schüler waren noch nicht einmal in Schneekleidung, geschweige denn in ihren Jacken. Es herrschte immer noch Verwirrung und Gedränge, und ein paar Schüler saßen auch immer noch demonstrativ auf ihren Plätzen. Von einer roten Jacke war weit und breit nichts zu sehen.
Na ja, das klärte sich sicher bald. Und so lange hatte sie ja glücklicherweise ihren Parka. Rica sprintete die Treppe hinauf, um sie aus dem Zimmer zu holen. Als sie wieder unten war und gerade in die wollgefütterten Ärmel schlüpfte, fing sie sich einen verwunderten Blick von Robin und Simon ein, die zusammen an der Ausgangstür standen.
»Meine Jacke ist weg « , erklärte sie nur kurz und stopfte sich das Lunchpaket in die große Parkatasche. Wenigstens das war ein Vorteil – die Taschen waren groß genug. Danach schlang sie sich den Gurt ihrer Kameratasche über die Schulter. »Aber Hauptsache, die hier ist noch da .« Sie grinste, um ihnen zu beweisen, wie wenig ihr das Ganze ausmachte, doch sie fragte sich insgeheim schon, was das sollte. Ihre Skiausrüstung. Ihr Anorak. Was wohl als Nächstes an der Reihe war?
Herr Röhling und Frau Friebe warteten dick eingemummelt draußen im Schnee. Einer von ihnen – vermutlich Herr Röhling – hatte bereits einen kleinen Pfad von der Tür bis zum Fußweg freigeschaufelt, sodass die Schüler jetzt zwischen zwei Schneewänden entlangliefen. Frau Friebe hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen und ihre fliederfarbene, vermutlich selbst gestrickte Mütze tief in die Stirn geschoben. Die Frau sah so unglücklich aus, dass sie Rica richtig leidtat. Warum hatten sich die Betreuer denn entschlossen, ausgerechnet die Älteste von ihnen mit auf diese Wanderung zu schicken?
Weil sie Langlauferfahrung hat, und weil sie glauben, dass die wildesten Schüler hier bleiben werden, um sich einen schönen Lenz zu machen, dachte sie gleich darauf. Frau Friebe würde sie niemals unter Kontrolle bekommen. Dann schon lieber die braven Schüler, die darauf aus sind, allen zu helfen, indem sie neue Lebensmittel heranschaffen. Sie schenkte Frau Friebe ein aufmunterndes Lächeln, aber sie glaubte nicht, dass die Lehrerin das wirklich wahrnahm. Sie guckte jedenfalls immer noch verfroren und miserabel in die Landschaft.
»Ein wunderschöner Tag für einen Spaziergang « , verkündete Herr Röhling und strahlte die kleine Schülergruppe an. »Jedenfalls wenn man Schneestürme mag .«
Rica musste gegen ihren Willen grinsen. Im Grunde war Herr Röhling schon in Ordnung. Sie wollte nicht, dass er ihr zu sympathisch wurde, das war richtig, aber er schien auch keine Ambitionen in die Richtung zu haben. Gar nicht wie Lars, dachte sie. Lars wollte immer unser Freund sein.
»Sind alle da? Dann wollen wir los. Schließlich wäre es schön, wenn wir vor Abendanbruch wieder hier sind « , meinte Herr Röhling. Rica starrte ihn entsetzt an, und sie musste wohl nicht die Einzige gewesen sein, denn er lachte noch mal fröhlich. »War nur ein Scherz. So lange werden wir hoffentlich nicht brauchen. Ihr seid doch alle fit, oder ?«
Rica sah sich um. Nathan, Robin, Eliza, Simon und Saskia standen außer ihr um Herrn Röhling herum.
Saskia.
Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass sich das Mädchen ihnen angeschlossen hatte. Sie würdigte Rica keines Blickes, sondern himmelte ganz offensichtlich Herrn Röhling an. Dabei stand sie allerdings so nahe neben Robin, dass man meinen konnte, die beiden wären ein Paar. Rica verspürte einen leichten Stich der Eifersucht, aber sie riss sich zusammen. Es reichte schon, wenn Robin jedes Mal ausrastete, wenn sie mit Nathan sprach. Da musste sie nicht auch noch Unruhe in ihre Beziehung bringen.
Wenn sie Herr Röhling gewesen wäre, hätte sie zumindest Simon wieder zurückgeschickt, so klein und zerbrechlich sah er aus, doch offensichtlich war der Lehrer der Ansicht, wer sich den Marsch zutraute, der konnte auch mithalten. Er nickte noch einmal bestätigend und deutete dann auf zwei große, flache Schlitten, die neben ihm im Schnee standen. »Wir
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