Pilgern auf Französisch
sterbe ich, als dass ich diesen beiden Schmarotzern ein Hotel bezahle...«
Édith steht auf und wankt zu ihrem entzückenden Frisiertisch aus den Dreißigerjahren, der kein einziges Kosmetikfläschchen enthält, dafür eine ganze Batterie alkoholischer Getränke.
Das sind Édiths Parfüms.
Sie gießt sich ein großes Glas Gin ein, leert es in einem Zug, füllt das Glas noch einmal und setzt sich wieder neben Pierre. Sie trinkt in kleinen Schlucken wie ein schläfriges Kätzchen. Pierre bittet sie liebevoll, nicht so viel zu trinken. Und genauso liebevoll erwidert sie, er solle sich keine Sorgen machen, alles sei gut.
Pierre ringt ihr das Versprechen ab, nicht zu trinken, während er weg ist. Édith verspricht, nicht zu trinken, solange er weg ist, und schlürft ihren Gin.
Pierre sieht sie an, sagt nichts mehr.
Wie Tausende und Abertausende andere Menschen, die noch immer Zusammenleben, ein jeder in seiner eigenen Einsamkeit, verbindet die beiden etwas, vielleicht für immer, vielleicht nur für die nächste Viertelstunde: eine Kerbe, die so tief in ihre Herzen eingeschnitten ist, dass ihr Blut sich vermischt hat.
Sarah sieht aus wie Claude, nur als Mädchen. Die gleichen großen Augen, das gleiche lockige Haar, aber bei ihr ist alles noch fest, hübsch und zart, nicht so erschlafft wie bei Claude.
Wie kann ein so bildhübsches Mädchen diesem verwahrlosten Vater so ähnlich sehen? Im Café gegenüber dem Gymnasium wartet sie auf ihn, lauert ihm auf mit traurigem Blick, der in alle Richtungen schweift. Woher wird er kommen? Wird er überhaupt kommen? Warum hat er mich angerufen? Sicherlich soll ich ihm Geld leihen, wie immer. Wie kann es sein, dass ein Mann, der so darunter gelitten hat, dass sein Vater ihn verließ, nun seinerseits alle seine Kinder verlassen hat? Warum beginnt alles immer wieder von vorn? Wann wird das endlich aufhören?
Manchmal vergehen zwei Jahre, ohne dass sie ihn trifft, daher erwartet sie nichts mehr von ihm — nicht von ihm und nicht von anderen Menschen.
Doch da kommt er und lächelt glücklich, als er sie sieht. Sie fragt sich jedes Mal, wie er so lächeln und sich so verhalten kann. Er überschüttet sie derart mit Komplimenten wegen ihrer unvergleichlichen Schönheit, dass es ihr fast peinlich ist. Sie wartet darauf, dass er ihr die Summe nennt, um die er sie bitten will; sie empfindet keinen Hass, die Jugend ist unendlich nachsichtig. Sie liebt dieses Gesicht und diese Stimme, ihre Wut ist schon seit Langem verraucht.
»Wie geht’s?«
»Du kommst eine halbe Stunde zu spät, Papa.«
»Ich weiß, aber die Staus...«
Sarah regt sich nicht auf, aber ist es erniedrigend, dass er sie ständig für dumm verkaufen will.
»Du hast kein Auto, Papa.«
»Nein, aber der Bus...«
Der Kellner kommt. Sarah bestellt ein Perrier-Rondelle, Claude einen Whisky, ach was, warum nicht gleich einen doppelten...
Auf die Bestellung folgt beredtes Schweigen.
»Oma ist tot.«
»Ich weiß«, sagt Sarah.
Sie weiß auch, dass es ihm egal ist; dass er für seine Mutter nichts empfunden hat, dass er sie seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Sie betrachtet seine gelichtete Stirn und fragt sich, ob auch sie eines Tages nichts mehr für ihren Vater empfinden wird und wie so etwas möglich sein kann.
Claude entschließt sich, die berühmte Frage zu stellen. Wenn es darum geht, dem Alkohol zu widerstehen, hat er alle Ausflüchte der Welt parat, doch wenn er sich Geld leihen will, legt er Entschlossenheit an den Tag.
»Du musst mir hundert Euro leihen, nur hundert. Ich brauche eine Bahnfahrkarte. In zwei Monaten bin ich reich, ich schwör’s dir.«
»Ich habe keine hundert Euro.«
»Frag deine Mutter.«
»Maman liehe dir nicht mal einen Cent.«
Sarah nimmt sich vor, ihrer Mutter nichts von diesem Treffen zu erzählen. Das wäre nur Öl ins Feuer. Der Kellner kommt mit den Getränken.
Sarah fragt ihren Vater, ob er denn Geld habe, um seinen Whisky zu bezahlen. Claude sagt: Nein, aber das sei nicht schlimm. Denn er wird reich, er erbt nämlich, und um an ebendieses Erbe zu kommen, muss er... Sarah hört nicht mehr zu, sie weiß, dass sie den Whisky bezahlen muss, sie fragt sich, wie viel er kostet — fünfzehn, zwanzig Euro? — und wie sie dieses Loch in ihrem ohnehin schmalen Geldbeutel wieder stopfen soll. Wenn sie am Donnerstag und Freitag aufs Mittagessen verzichtet, kann sie am Samstag trotzdem ins Kino gehen. Ihre Mutter wird jedenfalls nichts davon erfahren.
Das letzte Haus im Ort, am
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