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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Abnahme von »Examina« bestehenden Schulunterricht entsprach. Auf diese Weise wurde jedoch nur die allgemeine Leistungsfähigkeit erprobt; »Spezial-Studien« nahm der Computer erst in der anschließenden Phase auf. Nun erst wurden aus den Universalautomaten die Steuerwerke für die Raketen vom Typ »Ariel«. Und schließlich kamen sie in einen Simulator, der unzählige Folgen von Vorkommnissen imitierte, wie sie bei einer Raumfahrt möglich waren: unvorhergesehene Havarien, Defekte in den Maschinensätzen, schwierige Manöversituationen auch bei nicht funktionierendem Antriebssystem, Begegnungen mit anderen Raketen auf kurzer Distanz, mit fremden Körpern, wobei jeder Fall in unzähligen Varianten durchgespielt wurde. Einmal wurde ein beladenes Raumschiff zugrunde gelegt, dann wieder ein leeres, mal ging es um Bewegung im Hochvakuum, mal um Eintritt in eine Atmosphäre, und all diese vorgetäuschten Situationen wurden Stufe um Stufe komplizierter, bis es sich um schwierigste Probleme bei gleichzeitiger Anwesenheit vieler Körper in einem Gravitationsfeld handelte, deren Bewegungen die Maschine vorausberechnen mußte, um den Kurs des eigenen Raumschiffs sicher zu steuern.
    Der Simulator, ebenfalls ein Computer, spielte die Rolle eines »Examinators«, und zwar eines perfiden, der das eingangs fixierte Programm des »Schülers« sozusagen weiterbearbeitete, das heißt auf Ausdauer und Leistungsfähigkeit prüfte. Obwohl also ein solcher elektronischer Steuermann niemals wirklich ein Raumschiff gelenkt hatte, besaß er, wenn er schließlich an Bord einer Rakete montiert wurde, mehr Erfahrung und Fertigkeiten als alle Menschen zusammengenommen, die sich jemals mit der Navigation im Weltraum beschäftigt hatten. Der Computer hatte auf dem Simulatorstand so schwierige Aufgaben zu lösen, wie sie in Wirklichkeit niemals vorkamen, und um hundertprozentig jede Möglichkeit auszuschließen, daß ein unvollkommenes Exemplar durch dieses letzte Netz schlüpfte, wurde die Arbeit des Pärchens »Steuermann – Simulator« von einem Menschen beaufsichtigt, einem erfahrenen Programmierer, der darüber hinaus langjährige Flugpraxis haben mußte, wobei Syntronics sich nicht damit begnügte, einfache Piloten für diesen verantwortungsvollen Posten zu engagieren: Es arbeiteten dort ausschließlich Kosmonauten vom Navigator an beziehungsweise solche, die mehr als tausend Stunden bei der Durchführung der wichtigsten Manöver nachweisen konnten. In letzter Instanz hing es also von diesen Leuten ab, welchen Tests aus dem unerschöpflichen Katalog der einzelne Computer unterworfen wurde; der Fachmann bestimmte die Ausmaße der zu meisternden Schwierigkeiten, und während er den Simulator überwachte, fügte er den »Examina« zusätzliche Komplikationen hinzu, täuschte er im Verlauf der Aufgabenlösung plötzliche und schlimme Überraschungen vor: Kraftausfall, Dekonzentration der Schübe, Kollisionen, Schäden am Außenpanzer, Unterbrechung des Funkkontakts mit der Bodenkontrolle während der Landung, und er hörte damit nicht auf, bevor hundert Stunden Standardtests absolviert waren. Ein Exemplar, das die geringfügigste Unzuverlässigkeit aufwies, wurde in die Werkstatt zurückgeschickt wie ein schlechter Schüler, der eine Klasse wiederholen muß.
    Nachdem van der Voyt die Arbeit der Werft dergestalt über jeden Zweifel erhoben hatte, bat er, um den Eindruck einer Verteidigung zu verwischen, die Kommission in schön formulierten Sätzen um eine kompromißlose Untersuchung der Katastrophe und ihrer Ursachen. Nun meldeten sich die Spezialisten von der Erde zu Wort, und sofort versank die Angelegenheit in einem Schwall gelehrter Terminologie. Auf dem Bildschirm erschienen Ideenskizzen, Blockdiagramme, Formeln, numerische Aufstellungen, und Pirx sah mit Bestürzung, daß sie sich auf dem besten Weg befanden, aus dem Vorfall einen verworrenen theoretischen Casus zu machen. Nach dem Chefinformationstheoretiker sprach der Experte für Datenverschlüsselung vom Projekt – Pirx hörte schon nicht mehr hin. Ihm lag nichts daran, sich durch Wachsamkeit einen milden Ausgang des nächsten Zusammenstoßes mit van der Voyt zu erkaufen, falls es überhaupt dazu kam. Es war immer weniger wahrscheinlich; denn niemand ging auf seine Darlegungen ein, als habe er sich einen Fauxpas geleistet, den man möglichst schnell vergessen wollte. Die nächsten Sprecher erklommen bereits die oberen Etagen der allgemeinen Steuerungstheorie. Pirx unterstellte

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