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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
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wütend dazwischen, »das ist ein Bericht. Das ist genau das, was hier jetzt passiert. Genau das, vor dem wir zu fliehen versuchen. Kipp doch die Wirklichkeit nicht so über uns aus wie ein Mülllaster. Wirf deine Phantasie an, Bruderherz, erfind was, lass es strömen, geh damit so weit wie möglich.« Ich fange erneut an.
    »Ein Mann sitzt allein in einem Zimmer. Er ist einsam. Er ist Schriftsteller. Er will eine Geschichte schreiben. Sehr viel Zeit ist vergangen, seit er seine letzte Geschichte geschrieben hat, und er hat Sehnsucht. Sehnsucht nach diesem Gefühl, etwas aus etwas zu erschaffen. Ja, etwas aus etwas. Denn etwas aus nichts, das ist, wenn man was komplett erfindet. Das hat keinen Wert, ist auch nicht wirklich eine Kunst. Aber dieses gewisse Etwas-aus-Etwas, das ist, wenn du etwas entdeckst, das die ganze Zeit über in dir vorhanden war, es in einem Ereignis entdeckst, das nie passiert ist. Der Mann entschließt sich, eine Geschichte über die Lage zu schreiben. Nicht über die politische und auch nicht über die gesellschaftliche Lage. Er beschließt, eine Geschichte über die menschliche Lage zu schreiben. Die menschliche Lage, wie er sie in diesem Moment erlebt. Doch es kommt keine Geschichte. Denn die menschliche Lage, wie er sie in diesem Moment erlebt, ist anscheinend keine Geschichte wert. Er stellt sich schon darauf ein aufzugeben, als es plötzlich …«
    »Ich hab dich echt schon gewarnt«, schneidet mich der Schwede ab, »ohne Türklopfen.«
    »Ich muss aber«, beharre ich, »ohne Türklopfen keine Geschichte.«
    »Lass ihn«, sagt der Bote sanft, »lass mal locker. Er will ein Türklopfen? Dann eben Türklopfen. Wenn er uns bloß endlich eine Geschichte serviert.«

Lügenland
    Seine erste Lüge erfand Rubi, als er sieben war. Seine Mutter gab ihm einen alten zerknitterten Geldschein und bat ihn, ihr beim Krämer eine Schachtel lange Kent zu kaufen. Rubi kaufte sich ein Eis von dem Geld. Die Münzen, die er als Wechselgeld herausbekam, versteckte er unter einem großen weißen Stein im Hinterhof des Hauses, in dem sie wohnten, und als er zurückkam, erzählte er seiner Mutter, dass ihn ein furchterregender rothaariger Junge mit einem fehlenden Schneidezahn auf der Straße angehalten, ihm eine Ohrfeige verpasst und ihm den Geldschein abgenommen habe. Sie glaubte es. Und ab da hörte Rubi nicht mehr auf zu lügen. In der Oberstufe fuhr er nach Eilat und räkelte sich dort fast eine Woche am Strand, nicht bevor er dem Schulsekretär die Geschichte von einer Tante aus Be’er-Scheva angedreht hatte, die an Krebs erkrankt war. In der Armee war diese illusionäre Tante dann schon blind und half Rubi aus einem Schlamassel wegen unerlaubter Abwesenheit heraus, ohne Haft und sogar ohne Stubenarrest. In der Arbeit rechtfertigte er einmal eine zweistündige Verspätung mit der Lüge von einem Schäferhund, den er angefahren am Straßenrand gefunden und zum Tierarzt gebracht hatte. In der Lüge blieb der Hund an zwei Beinen gelähmt, und die Verspätung ging völlig glatt durch. Eine Menge Lügen produzierte Rubi Algrabli in seinem Leben. Lahme und Kranke, Gewalttätige und Böse, Lügen mit Beinen und auf Rädern, Lügen mit Jackett und mit Schnurrbart. Lügen, die er in Sekundenschnelle erfand, ohne jeden Gedanken daran, dass er ihnen irgendwann einmal wieder begegnen müsste.

    Alles begann mit einem Traum. Ein kurzer und nicht besonders klarer Traum von seiner toten Mutter. Im Traum saßen sie beide auf einer Matte inmitten einer weißen, gestaltlosen Fläche, die wirkte, als beginne oder ende sie im Nirgendwo. Neben ihnen auf der endlosen weißen Fläche stand ein Kaugummiautomat von der alten Sorte mit dem durchsichtigen oberen Teil und einem Schlitz, in den man eine Münze einwarf, dann an dem Griff drehte und einen runden Kaugummi erhielt. Und in dem Traum sagte Rubis Mutter zu ihm, dass diese jenseitige Welt sie langsam wahnsinnig machte, denn es seien zwar gute Menschen hier, aber es gebe keine Zigaretten. Nicht bloß keine Zigaretten, auch keinen Kaffee, keinen Kanal 2, rein gar nichts. »Du musst mir helfen, Rubi«, sagte sie, »du musst mir einen Kaugummi kaufen. Ich habe dich großgezogen, Sohn. Diese ganzen Jahre habe ich dir alles gegeben und nichts verlangt. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, deiner alten Mutter etwas zurückzugeben. Kauf mir einen runden Kaugummi. Rot, falls möglich. Aber es ist auch nicht schlimm, wenn ein blauer rauskommt.« Im Traum durchwühlte Rubi immer wieder

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