Post von Madelaine
würde.
Sie musste sich nur noch ein wenig in Geduld üben.
Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief Maddie auch an jenem trüben Nachmittag, mitten im August 1954, wieder einmal in ihrem Weizenfeld ein.
Knatternder Lärm und ein starkes Vibrieren der Erde zog sie aus den Tiefen ihres Schlafes. Dunkelgrün und violett flackerte es hinter ihren geschlossenen Lidern auf. Noch ehe sie verstand, reagierte ihr Körper in einer Art Reflex. Maddie sprang auf, nur Sekunden, bevor der bullige Pierre sie mit dem Mähdrescher erreicht und vermutlich überrollt hätte. Wild gestikulierend empörte sich der vierzehnjährige Junge mit der starken Akne im Gesicht, der erst vor wenigen Wochen ins Heim gekommen war, und zeigte Madelaine einen Vogel.
Die Kleine rannte bis an den Rand des angrenzenden Wäldchens. Dort verharrte sie und beobachtete atemlos, wie Pierre weiter seine Bahnen zog. Einer nach dem anderen knickten die langen Halme unter den Rädern der monströsen Maschine weg. Der Weizen hatte die Totreife erreicht, und Maddie wusste, dass es der perfekte Zeitpunkt für die Ernte war. Doch das Bild des weiten Feldes, das nun kahl und trostlos vor ihr lag, erschien ihr wie ein böses Omen. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, schnürte ihre Lunge ein und erschwerte ihr das Atmen.
Sie bekam noch immer recht wenig Luft, und ihre Seiten stachen, als sie die Schwelle des Heims überschritt.
Schwester Cecile lief ihr entgegen und klatschte erleichtert in die Hände.
»Maddie, da bist du ja, wir haben schon überall nach dir gesucht. Komm, schnell, zieh dir eine saubere Bluse an. Monsieu Perelle erwartet dich in seinem Büro.«
Madelaine wusste nicht, ob es der aufgeregte Tonfall der jungen Schwester oder der Funke Melancholie in ihrem Blick war. Sie spürte nur, dass etwas Entscheidendes bevorstand. Nie zuvor war sie in das Büro des Leiters zitiert worden, und sie konnte sich beim besten Willen nichts Positives ausmalen, was sie hinter dieser schweren Tür, die ein Tabu für die Kinder des Heims darstellte, erwarten könnte.
Schnell kam sie der Aufforderung nach, wusch sich Hände und Gesicht und schlüpfte in eine saubere weiße Bluse.
Ängstlich lief sie über die breite Treppe und den langen Korridor im Erdgeschoss des großen Hauses. So nervös, wie Madelaine sich mittlerweile fühlte, so geschärft waren ihre Sinne. Dementsprechend verwunderte es sie nicht im Geringsten, dass jedes Ächzen der Holzdielen, die sich unter ihren Schritten durchbogen, eine kleine Farbexplosion vor ihrem geistigen Auge auslöste. Es waren dunkle, krachende Töne - graublau und schwarz -, die Madelaines Angst zusätzlich schürten. Die Wände des Ganges schienen sich zusammenzuziehen, raubten ihr die letzte Luft. Mit zittrigen Händen klopfte sie an.
»Herein!«
Zögerlich betrat sie den Raum, den sie sich ebenso dunkel, aber wesentlich größer vorgestellt hatte. Monsieur Perelle saß hinter seinem Schreibtisch und schrieb. Als er aufblickte und sich von seinem Stuhl erhob, quietschten dessen Füße über den Holzboden. Grellgelb!
Madelaine schrak kurz zusammen, fasste sich jedoch schnell wieder und grüßte mit einem leichten Knicks.
Monsieur Perelle ging lächelnd auf sie zu und streifte dabei die Brille von seiner langen, geraden Nase. »Madelaine, wir haben sehr gute Nachrichten für dich.
Morgen kommt das Ehepaar Mouton, das in der letzten Woche schon einmal hier war und sich bei uns umgesehen hat. Wir haben gemeinsam entschieden, dass sie dir wunderbare Eltern sein könnten.« Der große, hagere Mann mit den gütigen Augen blickte erwartungsvoll auf das Mädchen herab. Madelaines Welt stürzte ein.
Hunderte Geräusche prasselten auf sie nieder und mit ihnen all die verknüpften Farben, die durch ihren Kopf wirbelten. Das leise Zwitschern der Vögel - rosarot und hellgrün, das Ticken der Wanduhr - indigoblau, Monsieur Perelles besorgtes Schnalzen - aschgrau. »Was ist denn, Madelaine? Ich dachte, du freust dich!«
Erst seine tiefe Stimme vermochte es, das Mädchen aus seiner Starre zu ziehen.
Wie auf ein Startsignal hin strömten Tränen aus Maddies Augen und ihre Knie sackten weg. Mitten in dem dunklen Raum ging sie mit einem dumpfen Klang zu Boden. Erdbraun!
»Bitte nicht! Bitte!«, flehte sie. »Ich will nicht weggeschickt werden.«
Monsieur Perelle verstand die Welt nicht mehr. »Kind, du wirst es wunderschön haben. Die Moutons sind wunderbare Menschen, das versichere ich dir.« Maddie schüttelte den Kopf - ungewohnt
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