Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Zeichen zum Aufbruch. Er setzte den Fuß auf den Hals seines Kamels und schwang sich in den Sattel, während das Tier aufstand. Er ergriff das Leitseil und blickte umher. Etwa zwanzig Kamelreiter, junge Männer der Aït Baha, die südlich von Taroudant zuhause waren, machten sich ebenfalls bereit. Ihre Kamele richteten sich allerdings nur widerwillig auf, schnappten nach ihren Reitern und brüllten, und kaum standen sie, versuchten einige von ihnen, auszubrechen.
Alles andere als perfekt, dachte Saïd, doch bis sie Sijilmassa erreichten, würde es besser klappen. Sollte es ihnen gelingen, dort geräuschlos anzukommen, bot die Oase um Sijilmassa die besten Voraussetzungen für einen Überraschungsangriff. Aber bisher waren nur wenige der Kamele dafür ausreichend abgerichtet.
Auch die Reiter der Pferde und Maultiere machten sich nun bereit. Die meisten von ihnen kamen aus Dörfern des Atlas as-Saghir und saßen auf Pferden, die zwar von gutem Geblüt waren, dazu ausdauernd und genügsam, sie kannten jedoch kaum etwas anderes, als einen Karren zu ziehen. Die erfahreneren Tiere und Reiter rückten derweil mitsamt der Armee des Sultans nach Norden vor .
Für die Befreiung Sijilmassas blieben jene Männer, die nicht bereit waren, ihr Blut für etwas so schwer Verständliches wie ein politisch vereintes Al-Maghrebija zu vergießen. Nur die wenigsten seiner Leute konnten sich darunter etwas vorstellen. Féz und die Küstenorte zusammen mit dem Süden in einem geeinten Reich – welche Vorteile sollte das haben?
Saïds Unternehmung dagegen war etwas anderes. Hier ging es um die Bedrohung ihrer eigenen Dörfer und darum, ihren wichtigsten Handelsplatz möglicherweise an das Osmanische Reich zu verlieren. Dieser Gefahr musste man gemeinsam entgegentreten, davon hatte Saïd die caïds leicht überzeugen können.
Entlang seiner Marschroute schlossen sich ihm daher zahlreiche Freiwillige an, zumeist Söhne von Bauern und Handwerkern. Sie waren mutig und guten Willens, aber nicht gewohnt zu kämpfen. Die Nomaden aus den Gebieten zwischen Oasen und Wüste kannten sich wenigstens mit Überfällen und Gefechten in kleinen Gruppen aus, wie sie seit alters her bei ihnen Brauch waren. Blitzartig und pfeilschnell wie Falken aus den Weiten des Himmels tauchten diese Krieger der Wüste auf, schlugen heftig und kurz zu und verschwanden nach dem Sieg ebenso rasch, wie sie gekommen waren. Diese Kampfmethode – Saïd nannte sie den »›Jagdstoß der Falken‹« – war seiner Meinung nach ihre einzige Chance gegen die kampferprobten Osmanen. Daher sollten sich alle Männer in dieser Kunst üben, und zwar so lange, bis sie ihnen in Fleisch und Blut übergegangen war.
Er hatte jedoch ihren Eigensinn unterschätzt. Der eine wollte nur im Beisein seiner beiden Freunde, der Nächste unbedingt zu viert vorgehen, und während ein weiterer schwor, der frühe Abend sei die beste Zeit für einen Überfall, hielten andere die Stunde vor der Morgendämmerung für geeigneter. Jeder bestand auf seiner eigenen Methode und tat, was ihm gefiel, wodurch die gemeinsamen Übungen regelmäßig im Chaos endeten. Wie sollte es je gelingen, mit diesem Haufen die Osmanen aus Sijilmassa zu vertreiben?
Zu seiner Überraschung war eine Woche nach ihrem Aufbruch aus Taroudant Sîdi Latif zu ihnen gestoßen, ein erfahrener Hauptmann des Sultans, den jener ihm nachgesandt hatte. » Du hast Taroudant allzu schnell verlassen, daher schickt Sultan Muhammad mich, dir diesen Beutel voll Goldmünzen mit seinen besten Wünschen für deine Armee zu überbringen. Außerdem will er, dass ich dich und deine, äh …« Der Soldat ließ sei nen Blic k über den ungeordneten Reiterhaufen gleiten. Er seufzte.
» Eigentlich bekleide ich einen achtbaren militärischen Rang, doch hier soll man mich lieber nur Sîdi Latif nennen, das wird meinem Ruf weniger abträglich sein. Also, ich soll dich begleiten und unterwegs aus dieser Herde blökender Schafsböcke eine schlagkräftige Truppe formen.«
Mit diesen Worten hatte er sich bei Saïd vorgestellt und dabei zu dessen grenzenloser Verblüffung seinen chêche vom Kopf gerissen. Glattrasiert und weiß hatte sein Schädel über einem dunklen, wettergegerbten Gesicht mit buschigen Brauen geglänzt. Am liebsten hätte Saïd bei dieser unerwarteten Darbietung laut aufgelacht, doch er hatte sich zusammengenommen und den alten Soldaten begrüßt, wie es sich gehörte.
Sîdi Latif verstand sein Handwerk, wie Saïd sogleich sah, zudem
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