Reif für die Insel
mich damit losgeworden. Keine Fragen mehr, keine Erklärungen! Er muss mir nicht seine Adresse oder seine Telefonnummer nennen, braucht keine Angst zu haben, dass ich ihn später anrufen oder sogar besuchen werde. »Ich bin gerade in deiner Nähe, wir könnten zusammen essen gehen. Jetzt, wo du von Uschi geschieden bist …«
Glaubt er wirklich, ich könnte ihm lästig werden? Vielleicht, weil eine geschiedene Frau von Mitte fünfzig heilfroh sein muss, wenn sich jemand findet, der mal mit ihr essen geht? »So ein Mistkerl!«
Die Abendsonne drängt durch die Wolken, die heller und durchscheinender geworden sind. Das Gewitter ist weitergezogen, es regnet nicht mehr.
Ich reiße alle Fenster meines Hauses auf. Die Luft ist zwar immer noch schwer und feucht, aber der Wind, der mit dem Gewitter mitgezogen ist, hat sie belebt, hat ihr die Schwüle genommen und ihr einen frischen Duft geschenkt.
Es hält mich nicht im Haus. Auf der Terrasse schon kann ich tief durchatmen und spüre, dass mein Zorn gelindert wird, dass mein Stolz sich aufrichtet, wie es die Sommerblüher in den Beeten tun, und dass die Heftigkeit von mir |142| abtropft. Ich schlüpfe aus meinen Sandalen und wage einen Schritt auf den Rasen, dann noch einen. Herrlich, dieser nasse Teppich unter meinen Fußsohlen! Die kräftigen Gräser, die unter der Sonne mager und borstig waren und jetzt so saftig und biegsam sind. Die Kälte, die von meinen Füßen aufsteigt, macht sich im Nu im ganzen Körper breit. Meine heiße Wut kühlt ab, die überkochende Empörung fällt in sich zusammen, meine drückende Niedergeschlagenheit frischt auf. Mit den Fingerspitzen fahre ich über die Blätter, die sich mir aus den Büschen der Grenzbepflanzung entgegenrecken, spitz und keck. Der abtropfende Regen rollt an meinen Unterarmen herab und von den Ellbogen auf die Shorts. Ich bin durch und durch feucht, als die Sonne sich einen weiten blauen Platz am Himmel zurückerobert hat. Auch in mir ist es wieder hell und freundlich. Womöglich war alles nur ein Missverständnis? Vielleicht hat Paul ein anderes Café gemeint, hat dort auf mich gewartet und glaubt nun ebenfalls, er sei versetzt worden?
Tonias Worte dringen zu mir herüber wie der erste Ruf der Vögel, nachdem das Gewitter weitergezogen ist. Ihre Stimme wird schrill, wenn sie erregt ist, und wenn die Erregung lange anhält, wird sie zudem immer lauter. Bis sie schließlich überkippt und sich anhört wie hilfloses Heulen. Ich habe das häufig mitanhören müssen, wenn Johnny seiner Frau einen Widerstand entgegensetzte. Aber das ist lange her. Mittlerweile hat er erkannt, dass es sich leichter leben lässt, wenn er zu allem nickt, was Tonia sagt. Infolgedessen habe ich ihre überschnappende Stimme schon lange |143| nicht mehr gehört. Jetzt jedoch kommt sie aus dem Nachbargarten herüber, schwankend, in einem immerwährenden Auf und Ab von Wut und Erschöpfung, Aufbegehren und Resignation. Was mag Johnny Gefron ausgefressen haben?
»Du hast mich unmöglich gemacht! Diejenigen, die mir glauben, dass ich nichts gewusst habe, lachen über mich, und die anderen halten mich für skrupellos.«
Ihre Stimme kippt wieder, ein Hustenanfall ist die Folge.
Eine undeutliche dunkle Männerstimme antwortet ihr. Verstehen kann ich nichts, aber der besänftigende Tonfall erreicht mich. Johnnys Stimme ist es nicht, so viel erkenne ich. Der brüllt los, wenn seine Frau ihn in die Enge argumentiert, als hätte sie auf ihn geschossen. Mit wem redet Tonia Gefron?
»Es tut dir leid? Ist das alles, was du zu deiner Entschuldigung vorzubringen hast?«
Ich beschäftige mich mit einem Busch, der in der Nähe der Grundstücksgrenze steht, und zupfe die welken Blüten ab, die der Gewitterregen nicht mitgenommen hat. Nicht, dass ich neugierig bin! Ich komme nur meinen Pflichten als Besitzerin dieses Grundstücks nach!
Anscheinend redet Tonia Gefron mit ihrem Starautor. Und im Moment hört es sich ganz so an, als wäre es ihr egal, wenn Raffael Sielmann zu einem anderen Verlag wechseln würde. Die menschliche Enttäuschung wiegt anscheinend schwerer als das finanzielle Desaster, das sie erwartet, wenn David Davidson nicht mehr im Gefron-Verlag publiziert.
Die Männerstimme schafft es nun, zwei oder drei ganze Sätze zu bilden, ihr Klang ist ruhig und ausgleichend. Raffael |144| Sielmann ist anscheinend darauf aus, das Verzeihen seiner Verlegerin zu erlangen und sich mit ihr zu versöhnen. Alles andere wäre ja auch eine Frechheit! Auch ein
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