Ritter des dunklen Rufes
ihn nicht gewarnt, würde er heute mit Samildanach reiten.«
»Was willst du damit sagen? Glaubst du, dass Samildanach nicht böse ist?«
»Natürlich nicht. Nach unserer Auffassung und der aller zivilisierter Menschen ist er ein Dämon. Aber nach seiner eigenen Wahrnehmung ist er noch immer Samildanach, der Erste Ritter der Gabala, der tut, was er als im besten Interesse für das Reich empfindet. Er ist noch immer ein Ritter, es steckt noch immer etwas von seiner Vergangenheit in ihm.«
»Dann meinst du, es ist immer noch etwas Gutes in ihm?«
»Denk an Grunzer: ein Mörder, Vergewaltiger und Dieb. Und doch steckte etwas Gutes in ihm, und Nuada hat es zum Vorschein gebracht. Kein Mensch ist vollkommen – weder vollkommen gut noch vollkommen schlecht. Letztendlich handeln die meisten Menschen aus Eigennutz – und das ist der Boden, auf dem alles Übel gedeiht. Aber die meisten von uns haben – glücklicherweise – die Fähigkeit, uns selbst und unsere Handlungen zu beurteilen. Wir besitzen ein moralisches Gespür, das wie eine Mauer zwischen uns und dem, was Unrecht ist, steht. Um Böses zu tun, müssen wir diese Mauer bewusst überwinden. Doch für Samildanach und die anderen hat das Ambria diese Mauer zerstört und zugleich alles Wissen darum. Sie sind ebenso Opfer des Bösen wie wir.«
Lámfhada schwieg. Eine kühle Brise wehte über den Hang, ihn schauderte. Schließlich sprach er. »Aber wenn Samildanach glaubt, dass alles, was er begehrt, gut ist für das Reich, wie konnte er dann Elodan helfen, der in seinen Augen doch ein Verräter sein muss?«
»Das kann ich dir nicht beantworten, Lámfhada, außer mit einer Hoffnung. Samildanach war ein besonders guter Mensch, gerecht und rechtschaffen, edel an Geist und Gebaren. In jedem Zeitalter hätte man ihn zu den größten aller Ritter gezählt. Ich glaube nicht, dass selbst die finstere Macht des Ambria einen solchen Mann völlig zerstören kann. Elodan zu helfen, war eine gute Tat. Ich hoffe, das bedeutet, dass Samildanach tief in seinem Innern nach der Mauer sucht und sich bemüht, sie wieder aufzubauen.«
»Dann wird er möglicherweise überhaupt nicht gegen Elodan kämpfen?«
»Er wird kämpfen«, sagte Gwydion traurig. »Mit aller Kraft und allen Fähigkeiten, die er besitzt.«
»Und Elodan wird sterben.«
»Hast du mir nicht erzählt, du hättest die Zukunft gesehen, Lámfhada? Du weißt doch sicherlich schon, wie es ausgehen wird.«
»Wenn es nur so einfach wäre, Gwydion. Wenn ich mit dem Gold fliege, sehe ich so viele mögliche Zukünfte wie Wellen auf einem reißenden Fluss. Aber welche wird es sein?« »Hast du irgendeine gesehen, in der Elodan gewinnt?« »Nein, aber ich habe auch keine gesehen, in der ich ihm seine Hand wiedergab.«
»Und jetzt willst du nicht das Gold fliegen?« »Nein. Ich kann nicht … will nicht. Ich werde morgen zusehen.«
»Heute«, verbesserte Gwydion und deutete auf den ersten roten Streifen der Morgendämmerung hinter den Bergen.
Samildanach wartete, als die anderen Roten Ritter das Zelt betraten. Edrin, Cantaray, Joanin, Keristae und Bodarch nahmen im Kreis um ihn herum Platz.
»Man wird dir ein Mädchen bringen, Samildanach«, sagte Keristae. »Es ist jung und voller Leben.«
»Und wird es auch bleiben«, erklärte der Erste Ritter. »Ich brauche keine Nahrung.«
»Mit allem Respekt, Herr«, schaltete sich Edrin ein. »Aber ich glaube, du irrst.«
»Glaubt ihr vielleicht, ich brauche Hilfe, um einen Krüppel zu töten?«
»Das ist es nicht, Samildanach. Es ist nur … du benimmst dich seltsam. Du handelst ähnlich wie unser Bruder Cairbre. Wir haben Angst um dich.«
»Ich werde euch alle bei mir haben«, sagte Samildanach. »Ich werde über die Kraft eurer Seelen verfügen.«
Joanin beugte sich vor. »Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst sehr beunruhigt, seit du vom König zurückgekommen bist.«
»Beunruhigt? Ja, da hast du recht, Joanin. Ich glaube, wir alle müssen zu den Vyre zurückkehren. Sobald Elodan tot ist und die Rebellen in alle Winde zerstreut sind, gehen wir nach Hause. Jetzt brauche ich eure Kraft für den bevorstehenden Kampf.«
Die Ritter senkten die Köpfe, und Samildanach spürte, wie ihre Seelen in seinen Körper strömten. Vor langer Zeit hätte ihm diese Übertragung viele Gefühle beschert – jetzt spürte er nur noch rohe Macht. Er stand auf und ging zum Eingang des Zeltes. Die Sonne ging auf. Er warf einen Blick zurück auf die stillen, reglosen Gestalten. Ihr Leben
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