Ritual - Höhle des Schreckens
würden sie bestimmt nicht so umspringen. Weil sie wussten, dass diese Leute sich, wenn sie ihnen nichts erzählten, einfach was aus den Fingern sogen. Ludwig starrte in den Kaffeebecher. Vor dem Cry County Courier hatte niemand Manschetten; sie hielten ihn alle für eine Art lokales Witzblatt. Wie sollten die Leute auch Respekt vor ihm haben, wenn er am nächsten Tag fragen kam, ob sie nicht mal wieder eine Anzeige aufgeben wollten. Oder am übernächsten mit dem Lieferwagen angerattert kam, weil Pol Ketchum, sein Fahrer, seine Frau zur Chemotherapie nach Dodge City fahren musste.
Da lag nun die größte Story in der Luft, die Medicine Creek je erlebt hatte, und er hatte nichts für die nächste Ausgabe – absolut nichts. Natürlich, er konnte den Text von gestern ein bisschen umkrempeln, hier und da etwas ausschmücken und die vage Andeutung machen, dass in Kürze sensationelle Enthüllungen zu erwarten seien. Aber das brutale, rätselhafte Verbrechen hatte Medicine Creek aus seinem Dornröschenschlaf aufgeschreckt, die Leute wollten Fakten lesen. Und Smit Ludwig brannte darauf, sie seinen Lesern zu liefern. So eine Chance bot sich so schnell nicht wieder. Und insgeheim sehnte er sich schon immer danach, ein richtiger Journalist zu sein.
Er grinste grimmig in sich hinein. Die Frau war ihm weggestorben, die Tochter graste längst auf den grüneren Weiden an der Westküste, die Zeitung konnte sich finanziell kaum über Wasser halten, und er ging auf die fünfundsechzig zu. In dem Alter war man entweder ein richtiger Journalist, oder man schaffte es nie mehr.
Er merkte, dass das Stimmengewirr im Lokal verstummte. Aus den Augenwinkeln nahm er die schwarze Gestalt wahr, die draußen die Speisekarte studierte. Aha, der FBI-Agent interessierte sich anscheinend für Maisies Kochkünste. Und nicht nur das, er kam sogar herein.
Smit Ludwig drehte sich leicht zur Seite, um das Lokal besser im Blick zu haben. Vielleicht ließ sich der Agent die eine oder andere Information entlocken? Unwahrscheinlich, aber einen Versuch war es allemal wert. Wer ausgehungert ist, schnappt selbst nach dem kleinsten Krümel.
Der FBI-Mann – wie hieß er noch mal? – rutschte in eine Sitznische, und Maisie war im Nu bei ihm, um seine Bestellung aufzunehmen. Ihr lautes Organ konnte man nicht überhören, aber bei dem Agent musste Ludwig die Ohren spitzen.
»Ja, das da ist unser heutiges Tagesgericht.« Maisies kräftige Stimme dröhnte durch das Lokal. »Frikadellen.«
»Aha«, sagte der FBI-Mann. »Frikadellen.«
»Jawohl«, bestätigte Maisie. »Mit weißer Soße, pürierten Knoblauchkartoffeln – hausgemacht, nicht aus der Dose – und grünen Bohnen. Grüne Bohnen sind reich an Eisen, und davon könnte Ihnen ein kleiner Schuss nichts schaden.«
Ludwig amüsierte sich königlich. Maisie eröffnete ihre übliche Attacke. Wenn ein Gast am Schluss nicht fünf Kilo zugenommen hatte, rechnete sie sich das als persönliche Schlappe an. Der arme FBI-Mann hatte so gut wie verloren.
»Wie ich sehe, haben Sie auch Schweinefleisch mit roten Bohnen«, sagte der Fremde. »Welche Gemüse servieren Sie dazu?«
»Gemüse? Unser Schweinefleisch mit roten Bohnen wird nicht mit Gemüse gepanscht! Wir verwenden nur frische Zutaten. Erst schwenke ich die roten Bohnen in Nackenfett und Zuckersirup, dann lasse ich sie bei kleinster Flamme die Nacht über köcheln, und Sie werden staunen, wie die Ihnen auf der Zunge zergehen. Eins unserer beliebtesten Gerichte. Sie möchten also Schweinefleisch und rote Bohnen?«
Das Gespräch entwickelte sich allmählich zur Lokalbelustigung. Ludwig rutschte noch weiter herum, um nichts zu verpassen.
»Nackenfett, du lieber Gott!«, murmelte der Agent. »Und das gebratene Hühnchen?«
»Zweimal in Maisbutter geschwenkt und knusprig goldbraun gebraten. Dazu gegrillte Süßkartoffeln.«
Der Agent sah leicht gequält aus. Er blickte von der Speisekarte hoch. »In dieser Gegend muss es doch hervorragendes Angusrind geben?«
»Aber ja. Ich kann Ihnen ein Steak braten, von dem Sie noch Wochen später träumen. Rare, medium oder well done, wie Sie’s gern hätten.«
»Haben Sie zufällig ein Lendensteak vorrätig?«
Ludwig gefiel der seiden-, nein, sogar butterweiche Singsang, und dem halben Lokal ging es offenbar genauso.
»Aber ja«, versicherte Maisie. »Nach New Yorker Art zugeschnitten, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Und Sie sagten, Sie seien bereit, es mir auf jede Art zuzubereiten?«
»Wir richten uns
Weitere Kostenlose Bücher