Rot Weiß Tot
lag eine zusammengeklappte Hornbrille. Daneben standen zwei ungeöffnete Flaschen Perrier. Wahrscheinlich würde auch er selbst Sterns Satz gleich zu hören bekommen, dachte Albin. Er nahm sich vor, dabei nicht blöde zu grinsen.
»Nehmen Sie Platz«, sagte Edith Stern und wies auf einen mit rotem Samt bezogenen Polstersessel.
Albin folgte ihrem Befehl und betrachtete dabei zwei Topfpalmen, die an dünnen Stielen bis zur Decke reichten und sich dort in Ermangelung von Ausweichmöglichkeiten verdrehten. Ältere Menschen haben hohe Pflanzen, dachte Albin und fand, dass das eine gute Anregung für Markovics’ letztes Pensionsthema gewesen wäre.
»Warten Sie hier«, befahl Edith Stern nun und trat auf die Terrasse hinaus. Die Gardinen bauschten sich hinter ihr im Wind.
Draußen konnte Albin niemanden sehen. Er erkannte bloß die Krone des Ginkgos im Hof. Auf einem Ast stolzierte die Siamkatze herüber und ließ sich mit einem Plumps auf die Bodenplatten aus Waschbeton fallen. Zwei Korbsessel standen verloren herum, als wären sie schon eingewintert gewesen und nur für den jüngsten Wärmeeinbruch noch einmal hervorgeholt worden.
Aus einer Umgebung wie dieser gerissen und in ein Gefängnis gesteckt zu werden musste noch weit grausamer als sein eigener Weg hinter Gitter sein, dachte Albin. Schon seine eigenen Erfahrungen gönnte er nicht einmal einem Mörder: Kurz nach der Einlieferung hatte er überrascht entdeckt, dass die Welt gar nicht untergegangen war. Dann hatte er erleben müssen, wie sie es jeden Tag ein bisschen mehr getan hatte: Unmerklich war er tief hinunter in eine Hölle jener Gesetze gesunken, die aus der Symbiose von Gewaltverbrechern und Staatsgewalt entstanden.
Gefolgt von einer hageren Gestalt teilte Edith Stern den Vorhang. »Mein Mann«, verkündete sie und sah sich im Raum um, als vermisse sie den Trommelwirbel.
Albin erhob sich.
Stern war viel fragiler als seine Frau. Albin hätte ihn auf mindestens fünfzig geschätzt, obwohl er seines Wissens genauso alt wie Markovics war. Sterns Haar war sehr grau, er ging gebückt und sein schmales Gesicht hing in schweren Falten von seinen Schädelknochen. Seine feingliedrige Hand fühlte sich bei der Begrüßung wie ein in Haut gewickeltes Bündel trockener Knochen an. »Guten Tag«, sagte Albin.
»Interdental ist die beste Zahnpasta der Welt«, sagte Stern.
Albin grinste blöde.
Der Mann erinnerte ihn eher an einen Intellektuellen als an einen Künstler. Sein Gesicht trug die Züge der Akribie statt jene der Genialität.
Stern nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Seine Frau postierte sich wie ein Leibwächter hinter ihm. »Wie gesagt haben wir mit dieser Sache nichts zu tun«, erklärte Edith Stern kühl.
Albin konnte keine einzige Regung an Ralf Stern entdecken. Der Mann nickte weder, noch machte er eine entschuldigende oder eine um Verständnis heischende Geste. Anscheinend war ihm auch die Mimik vertraglich untersagt worden, dachte Albin. Es sei denn, sie drückte seine Begeisterung über die Qualität von Interdental-Zahnpasta aus.
»Sie waren Ronald Markovics’ bester Freund«, fing Albin an und sah Stern direkt in die Augen.
Keine Regung.
»Wir werden Marko nicht mehr zum Leben erwecken«, antwortete Edith Stern anstelle ihres Mannes. »Was immer wir tun.«
»Die Entdeckung seiner Leiche scheint sie nicht zu erschüttern.«
Edith Stern wollte offenbar keine Zeit mit Rührseligkeit verschwenden. »Wir sprechen mit Ihnen gegen die Zusage, dass dieses Gespräch offiziell nie stattgefunden hat.«
Das klang immerhin, als hätte sie etwas zu sagen. Albin nickte neugierig.
»Ist das eine Zusage?«
»Falls Ihre Informationen neu und von Relevanz sind, werde ich Sie in keinem meiner Artikel zitieren und mich bei meiner weiteren Recherche nie auf dieses Gespräch beziehen.«
»Sie werden uns in Zukunft nicht mehr behelligen?«
»Schießen Sie los.«
»Jemand hat Markovics beobachtet.«
»So kommen wir nicht ins Geschäft. Das ist ein alter Hut.«
Edith Stern war überrascht. Hilfe suchend sah sie ihren Mann an. Albin schloss daraus, dass sie heimlich miteinander sprachen oder Edith Stern tatsächlich die Gedanken ihres Mannes lesen konnte. Sonst wäre ihr dieser Reflex längst abhanden gekommen.
»Angeblich folgte ihm ein violetter Toyota«, sagte sie schließlich.
Albin verzog keine Miene. »Ich weiß.«
Er hielt das für die beste Strategie, noch mehr aus ihr herauszuholen.
»Der Fahrer war …«
»Ja?«
»Wissen Sie das auch
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