Rousseau's Bekenntnisse
möge getrost das Buch zumachen; er ist zur Beurtheilung von Gefühlssachen nicht geschaffen.
Gerade in dieser Zeit erhielt ich von Frau von Houdetot einen zweiten unvorhergesehenen Besuch. In der Abwesenheit ihres Mannes, der Kapitän in der Gensdarmerie war, und ihres Geliebten, der ebenfalls diente, war sie nach Eaubonne, mitten im Thale von Montmorency, gekommen, woselbst sie sich ein ziemlich hübsches Haus gemiethet hatte. Von dort aus machte sie einen neuen Ausflug nach der Eremitage. Auf dieser kleinen Reise ritt sie und zwar in Männertracht. Obgleich ich kein Freund derartiger Maskeraden bin, begeisterte mich doch der romantische Anstrich der ihrigen, und diesmal erglühte ich in Liebe. Da es die erste und einzige in meinem ganzen Leben war, [Fußnote: Eine so bestimmte Versicherung, welche auch die von ihm ausgesprochenen Klagen bestätigen, auch nicht ein einziges Mal für einen bestimmten Gegenstand in Liebe erglüht zu sein, vereinigt sich nicht mit dem, was er uns im 7. Buche von der Liebe erzählt, in der er in Lyon für Fräulein Serre entbrannt war und die ihm jenen leidenschaftlichen Brief eingab, den man in seinem Briefwechsel aus dem Jahre 1741 finden wird. Es ergiebt sich daraus, daß in der Zeit, in der Rousseau dies schrieb, diese bald überwundene Liebe in seinem Herzen wie in seiner Erinnerung keine Spur zurückgelassen hatte.] und mir wegen der sich daran knüpfenden Folgen ihre Erinnerung ewig unauslöschlich und schrecklich geworden ist, so möge es mir gestattet sein, dieses Verhältnis ausführlich zu besprechen.
Die Frau Gräfin von Houdetot näherte sich den Dreißigen und war keineswegs schön; ihr Gesicht zeigte Blatternarben; ihrem Teint gebrach es an Reinheit; sie war kurzsichtig und ihre Augen traten etwas zu sehr hervor, aber bei dem allen hatte sie ein jugendliches Aussehen, und ihr zugleich lebhaftes und freundliches Gesichtchen etwas ungemein Anziehendes. [Fußnote: »Sie war nicht nur kurzsichtig und hatte etwas hervortretende Augen,« wie Rousseau sagt, »sondern sie schielte im höchsten Grade. Sie hatte eine sehr niedrige Stirn und dicke Nase. In Folge der Blattern waren ihre Grübchen gelblich geworden, während ihre Poren bräunlich gezeichnet waren. Dies ließ ihren Teint unrein erscheinen. Wie Rousseau gesagt hat, gab sich in allen ihren Bewegungen eine gewisse Unbeholfenheit und auch Anmuth zu erkennen. Ihr Busen war schön, ihre Hände und Arme hübsch, ihre Füßchen niedlich.« So lautet das Zeugnis einer Person, die mit Frau von Houdetot in inniger Freundschaft gelebt hat. Daraus erhellt, daß Rousseau auch ihr Aeußeres unter dem Eindrucke seiner Einbildungskraft betrachtet hatte. Diese Person ist die Vicomtesse von Alard. Man vergleiche les Anecdotes pour servir de suite aux Mémoires de madame d'Epinay, Paris 1818, 8°, ] Sie hatte einen wahren Wald von starkem, schwarzem, natürlich gekräuseltem Haar, welches bis zu den Kniekehlen hinabreichte; ihr Wuchs war zierlich, und in allen ihren Bewegungen gab sich eine gewisse Unbeholfenheit und doch auch wieder Anmuth zu erkennen. Sie war äußerst natürlich und hatte einen recht anregenden Geist; Frohsinn, Schelmerei und Naivetät vermählten sich darin auf das glücklichste. Sie sprudelte von reizenden Einfällen, die sie nicht suchte und die ihr bisweilen unwillkürlich entschlüpften. Sie besaß mehrere angenehme Talente, spielte Klavier, tanzte gut und machte leidliche Verse. Ihr Charakter war wahrhaft engelgleich; aus allen ihren Eigenschaften leuchtete die Sanftmuth ihrer Seele hervor; mit Ausnahme der Klugheit und der Kraft zierten sie alle Tugenden. Namentlich war sie von einer solchen Zuverlässigkeit im Umgange und von einer solchen Treue gegen ihren Bekanntenkreis, daß sich selbst ihre Feinde nicht vor ihr zu verbergen brauchten. Unter ihren Feinden verstehe ich die Männer oder vielmehr die Frauen, welche sie haßten, denn sie für ihre Person war unfähig zu hassen, und ich glaube, daß diese Charakterübereinstimmung viel dazu beitrug, mir Liebe zu ihr einzustoßen. Auch in ihren vertraulichsten Herzensergießungen habe ich sie nie von Abwesenden Böses reden hören, nicht einmal von ihrer Schwägerin. Wie sie außer Stande war jemandem ihre Gedanken zu verhehlen, so vermochte sie auch nicht einmal ihre Gefühle zu bezwingen, und ich bin überzeugt, daß sie über ihren Geliebten eben so gut mit ihrem Manne sprach, wie sie über ihn mit ihren Freunden, ihren Bekannten und mit aller Welt ohne
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