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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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von allem gewußt, so würde ich ruhiger geworden sein, aber mein Herz haftete noch immer an einer Liebe, welche meinen Feinden tausend Handhaben gegen mich darbot, und die schwachen Strahlen, die bis in mein Asyl drangen, dienten nur dazu, mir die Dunkelheit der Geheimnisse, die man mir verhehlte, recht wahrnehmbar zu machen. Bei meinem offenen und aufrichtigen Charakter, der mich durch die Unmöglichkeit, meine Gefühle zu verhehlen, von dem, was man mir verbirgt, alles befürchten läßt, würde ich, wie ich nicht zweifle, dieser allzu grausamen Qual unterlegen sein, wenn sich nicht zum großen Glücke Gegenstände dargeboten hätten, für mein Herz interessant genug, um von denen, die mich wider meinen Willen beschäftigten, eine heilsame Ablenkung herbeizuführen. Bei seinem letzten Besuche, den mir Diderot auf der Eremitage gemacht, hatte er mir von dem Artikel »Genf« erzählt, den d'Alembert in die Encyklopädie aufgenommen hatte. Dieser mit hochgestellten Genfern verabredete Artikel hatte nach seiner Mitteilung die Einführung des Schauspiels in Genf zum Zweck, und sollten in Folge hiervon bereits die nöthigen Maßregeln ergriffen sein und die Ausführung ungesäumt stattfinden. Da Diderot dies alles sehr gut zu finden schien, nicht an dem Erfolge zweifelte, und ich mit ihm allzu viel anderes zu verhandeln hatte, um mich mit ihm noch über diesen Artikel auszusprechen, so sagte ich zu ihm nichts darüber; empört jedoch über diese ganze Art der Verführung in meinem Vaterlande, erwartete ich mit Ungeduld den Band der Enzyklopädie, welcher diesen Artikel enthielt, um zu sehen, ob sich nicht durch irgend eine Antwort dieser unglückselige Streich abwenden ließe. Den Band erhielt ich bald nach meiner Uebersiedlung nach Mont-Louis und ich fand den Artikel mit großer Geschicklichkeit und Kunst abgefaßt, würdig der Feder, aus der er geflossen war. Dies brachte mich gleichwohl nicht von dem Gedanken ab, darauf zu antworten, und trotz der Ermattung, die sich meiner bemächtigt, trotz meines Kummers und meiner Leiden, der Strenge der Jahreszeit und der Unbequemlichkeit meiner neuen Wohnung, in der ich noch nicht Zeit gehabt hatte mich einzurichten, machte ich mich mit einem alles übersteigenden Eifer ans Werk.
    Während eines ziemlich rauhen Winters brachte ich im Monat Februar und noch dazu in dem eben beschriebenen Zustande täglich zwei Stunden morgens und eben so viele nachmittags in einem ganz offenen Thurme am Ende des Gartens zu, in dem meine Wohnung lag. Dieser Thurm, der den Hintergrund einer terrassenförmigen Allee bildete, ging auf das Thal und den Weiher von Montmorency; die Aussicht, die man von ihm hatte, schloß mit dem einfachen, aber stattlichen Schlosse von Saint-Gratien, dem Zufluchtsorte des tugendhaften Catinat, ab. An diesem damals eiskalten, gegen Wind und Schnee ungeschützten Orte schrieb ich, von keinem andern Feuer als dem meines Herzens erwärmt, innerhalb drei Wochen meinen Brief an d'Alembert über das Schauspiel. Dies ist (denn die Julie war noch nicht zur Hälfte fertig) die erste meiner Schriften, an der ich mit wahrer Lust und Liebe arbeitete. Bisher hatte bei mir die Empörung der Tugend Apollo ersetzt; diesmal trat Zärtlichkeit und Sanftmuth der Seele an seine Stelle. Die Ungerechtigkeiten, deren Zeuge ich nur gewesen, hatten mich erzürnt; diejenigen, deren Gegenstand ich geworden, machten mich traurig, und diese Traurigkeit ohne Haß kam aus einem zu liebevollen, zu zärtlichen Herzen, das, von denen getäuscht, die ihm, wie es wähnte ebenbürtig waren, sich zur Einkehr in sich selbst gezwungen sah. Voll von dem allen, was mir widerfahren war, noch erregt von so vielen heftigen Erschütterungen, ließ das meinige das Gefühl seiner Leiden in die Vorstellungen überfließen, die das Nachdenken über mein Thema in mir wach gerufen hatte; meine Arbeit verräth die Verschmelzung beider. Unbewußt schilderte ich darin meine wirkliche Lage; ich charakterisirte darin Grimm, Frau von Epinay, Frau von Houdetot, Saint-Lambert, mich selbst. Wie wonnevolle Thränen vergoß ich beim Schreiben! Ach, man merkt es nur zu sehr, daß die Liebe, diese unselige Liebe, von der ich zu genesen trachtete, noch nicht aus meinem Herzen gewichen war. In dieses alles mischte sich eine gewisse Rührung über mich selbst, da ich mich sterbend fühlte und dem Publikum mein letztes Lebewohl auszusprechen glaubte. Weit entfernt, den Tod zu fürchten, sah ich sein Nahen mit Freuden; allein es

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