Rousseau's Bekenntnisse
Abenteurers, die ich von neuem zu spielen gedachte, weniger glücklich als das erste Mal sein; in ganz Saint-Andiol brauchte sich nur eine einzige Person zu finden, welche in England gewesen war und die Engländer kannte oder ihre Sprache verstand, um mich zu entlarven. Die Familie der Frau von Larnage konnte Mißtrauen gegen mich fassen und mich weniger rücksichtsvoll behandeln. Noch mehr beunruhigte mich ihre Tochter, an welche ich wider meinen Willen häufiger dachte, als nöthig gewesen wäre. Ich zitterte vor dem Gedanken, daß ich mich in sie verlieben könnte, und diese Angst that die Hälfte der Arbeit. Sollte ich zum Lohn für die Gunst der Mutter darauf ausgehen, ihre Tochter zu verführen, das verabscheuungswürdigste Verhältnis anzuknüpfen, ihr Haus in Hader, Schande und Aergernis zu stürzen und in eine Hölle zu verwandeln? Dieser Gedanke erfüllte mich mit Schauder; ich faßte allerdings den festen Entschluß, mich zu bekämpfen und zu überwinden, wenn eine so unglückselige Neigung bei mir zum Durchbruch kommen sollte, aber weshalb mich einem solchen Kampfe erst aussetzen? Welch schmachvoller Zustand, mit der Mutter, deren ich überdrüssig geworden, zu leben und dabei für die Tochter zu glühen, ohne den Muth zu besitzen, ihr mein Herz zu enthüllen! Was zwang mich dazu, einen solchen Zustand herbeizuführen, mich dem Elend, der Schande, den Gewissensbissen einer Freude zu Liebe auszusetzen, deren Hauptwürze ich bereits ausgekostet hatte? Unläugbar hatte meine Neigung ja ihre erste Lebhaftigkeit verloren. Freude an der Sinnenlust empfand ich noch, aber die Leidenschaft war verschwunden. In diese Erwägungen mischten sich Betrachtungen über meine Lage und meine Pflichten sowie die Erinnerung an die so gute und edelmüthige Mama, die, schon von Schulden gedrückt, es durch meine thörichten Ausgaben noch mehr wurde und sich um meinetwillen erschöpfte, während ich sie so unwürdig betrog. Dieser Selbstvorwurf wurde so lebhaft, daß er endlich die Entscheidung herbeiführte. Als ich mich Saint-Esprit näherte, faßte ich den Entschluß, an Saint-Andiol ohne anzuhalten vorüberzufahren. Ich führte ihn, wenn auch, wie ich zugebe, mit einigen Seufzern, muthig aus; aber ich fühlte dabei auch zum ersten Male in meinem Leben jene innere Befriedigung, mir sagen zu können: ich bin jetzt meiner Selbstachtung werth, ich weiß meine Pflicht über mein Vergnügen zu stellen. Dies war der erste wirkliche Erfolg meines Studiums, welches mich gelehrt hatte nachzudenken und zu vergleichen. Nach den reinen Grundsätzen, die ich mir vor kurzem zu eigen gemacht; nach den Regeln der Mäßigung und der Tugend, die ich mir selbst gebildet und mit so großem Stolze befolgt hatte, siegte die Scham, mir selbst so wenig treu zu sein und meine eigenen Grundsätze so bald und so offen zu verläugnen, über die Sinnenlust. Der Stolz hatte vielleicht eben so viel Antheil an meinem Entschlusse als die Tugend; aber wenn dieser Stolz nicht die Tugend selbst ist, so bringt er doch so ähnliche Wirkungen hervor, daß ein Irrthum hierin verzeihlich ist.
Gute Handlungen bringen noch den Vortheil, daß sie die Seele erheben und ihr die Fähigkeit zu noch besseren einflößen, denn die menschliche Schwäche ist leider so groß, daß man schon die Unterlassung des Bösen, welches man zu begehen versucht ist, zu den guten Handlungen rechnen muß. Sobald ich meinen Entschluß einmal gefaßt hatte, wurde ich ein anderer Mensch, oder ich wurde vielmehr wieder derselbe, der ich früher gewesen und der im Augenblicke der Trunkenheit verschwunden war. Voll guter Gesinnungen und guter Entschlüsse setzte ich meine Reise in der guten Absicht fort, meinen Fehler zu sühnen, indem ich nur daran dachte, von nun an mein Betragen nach den Regeln der Tugend zu richten, mich rückhaltslos dem Dienste der besten der Mütter zu weihen, mich ihr mit eben so großer Treue hinzugeben, wie ich Zuneigung zu ihr hatte, und mich von keiner andern Liebe mehr beherrschen zu lassen, als von der zu meinen Pflichten. Ach, die Aufrichtigkeit meiner Umkehr zum Guten schien mir ein anderes Schicksal zu versprechen; aber das meinige war bereits entschieden und begann schon an mich heranzutreten, und als mein Herz, voll Liebe für das Gute und Ehrenhafte, nur noch Unschuld und Glück im Leben sah, stand schon der verhängnisvolle Augenblick vor der Thür, der die lange Kette meiner Leiden nach sich ziehen sollte.
Im Eifer, nach Hause zu kommen, reiste ich
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