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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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fügte sie hinzu: »Angst, weil ich dich liebe, verflucht. Und weil ich dich kenne.«
    »Was soll das heißen?«
    »Weil es jetzt wieder an die Tagesordnung geht, richtig? Als wäre nichts gewesen. Bis zum nächsten Wochenende. Bis du dir wieder die Drogen reinpfeifst, als gäbe es kein Morgen…« Sie schluckte. »Soll das jetzt jedes Wochenende so weitergehen? Soll ich dir was sagen? Das wird immer schlimmer bei dir. Zwei Pillen, eine Pappe, das Speed – Mensch, Philip, so schlimm wie diese Nacht war es noch nie.«
    Er kramte in seiner Erinnerung. Da tauchte das dunkle Kellerverlies auf, die Nebelschwaden, das zuckende Strobolicht, die halb nackten Leiber, die sich im Takt der harten, lauten Technobeats bewegten. Er sah die Ecstasy-Pillen, die sie sich nach und nach einschmissen, er, Ken, Robert, Sabine und auch Chris. Jetzt wurde er wütend. »Du hast doch selbst mitgemacht. Warum also hältst du mir ‘ne Moralpredigt?«
    »Natürlich habe ich mitgemacht, das bestreite ich nicht. Aber ich kenne meine Grenzen.«
    »Ach so, und ich nicht?«
    Sie hielt ihm das verschmierte Papiertaschentuch unter die Nase. Er roch das Erbrochene und wandte sich ab. Die Menschen drüben in der Besucherschlange sprachen über ihn. Der Lärm der Autos und Busse verschluckte ihre Worte, aber ihr Kopfschütteln sprach Bände.
    »Antwort genug?«, fragte sie. Er schwieg. Ihr Blick ruhte auf ihm, nicht voller Genugtuung, auch nicht besorgt, nur resigniert. Als er nach einer Minute noch immer nichts erwidert hatte, warf sie das Tempo auf den Asphalt. »Du magst zwar eine traurige Kindheit erlebt haben, aber das ist noch lange kein Grund, auch den Rest deines Lebens wegzuschmeißen. Aber wenn du es gar nicht erwarten kannst, sabbernd und blöde in einer Klinik zu enden, bitte schön, es ist dein Leben. Auch eine Art von Karriere: vom Kinderheim ins Irrenhaus…« Sie erhob sich. »Fick dich!«
    Chris verließ den Parkplatz und lief den Bürgersteig in Richtung Potsdamer Platz davon. Grimmig sah er ihr nach. Sollte er ihr folgen und sich für sein Verhalten entschuldigen? Dafür hätte er erst einmal aufstehen müssen. Er bezweifelte, dass er schon so weit war. Und noch weniger sicher war er, ob er überhaupt Lust hatte, ihr hinterherzulaufen. Gewiss, Chris war seine Freundin. Aber sie war nicht sein Moralapostel. Sie selbst schluckte Ecstasy und Pilze, und wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Vor allem nicht nach jemandem, der gerade erst von einem Abwärtstrip zurückgekehrt war.
    Philip hörte ein Räuspern und blickte auf. Ken stand neben ihm, ein Glas Wasser in der Hand. »Was ist nun? Möchtest du das Wasser noch?«
    »Ach, piss doch gegen die Wand«, erwiderte Philip.
    Ken sah ihn konsterniert an. »Kannst du mir dann sagen, warum ich dafür bezahlt habe?« Er kippte das Wasser auf den Bürgersteig, drehte sich um und wollte Chris folgen, die bereits am Eingang zur U-Bahn stand. Dann hielt er inne und sah noch einmal zu Philip: »Weißt du was?«
    »Was?«
    »Meine Schwester hat Recht. Du bist ein Arschloch!«

London
     
     
     
    Die Digitalanzeige des Weckers zeigte 9.30 Uhr. Zu früh zum Aufstehen. Doch Beatrice war aufgewacht, weil Paul neben ihr im Bett mal wieder herumhampelte, ohne dass seine Suche nach einer ihm angenehmen Ruheposition ein Ende fand. Die Matratze schaukelte wie ein Boot bei heftigem Seegang, der Lattenrost knarrte, und das Bettgestell quietschte.
    »Was ist?«, knurrte sie unter ihrer Decke hervor, wo es warm und kuschelig war, im Gegensatz zu draußen, wo der Winter die Menschen in bleiche grantige Gespenster verwandelte.
    Paul räusperte sich: »Bist du wach?«
    »Wonach hört es sich denn an?«
    Er lachte. »Als wärest du wach…«
    »Schön, dass wenigstens dir zum Lachen zumute ist.«
    In der Tat war sie wach. Allerdings gedachte sie nicht, dies zu bleiben, sondern wollte sich noch ein oder zwei Stunden unter die Daunen verkriechen und vor sich hin dösen – so Paul es denn zuließ. Warum geht er nicht einfach ins Wohnzimmer, in die Küche oder sonst wohin, wo er sich selbst beschäftigen kann, ohne fortwährend auf der Matratze hin und her zu rollen?
    »Entschuldige, Darling, aber mir geht so vieles durch den Kopf«, sagte er, als habe er ihre Gedanken gelesen.
    Sie spuckte einen Fluch in das Kissen, ohne seinen Redefluss damit nennenswert eindämmen zu können. »Was hältst du davon, wenn wir heute ins Museum gehen?«
    Das unverständliche Murmeln, das sie anstelle

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