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Rummelplatz

Rummelplatz

Titel: Rummelplatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Bräunig
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auf der Gitarre geklimpert wie jetzt, vier, fünf Kumpel umstanden ihn.
    Die Kundgebung hatte die Arbeit der Ärzte für fast drei Stunden unterbrochen, erst gegen acht Uhr abends waren die Untersuchungen fortgesetzt worden. Und sie hatten bis in die Nacht gedauert. Gegen Mitternacht war jemand auf den Gedanken gekommen, daß die bereits abgefertigten Kumpel ja eigentlich abfahren könnten, die Busse standen im Hof. Man hatte die einzelnen Gruppen zu verschiedenen Bussen dirigiert, Schacht sowieso, Schacht sowieso, Erzaufbereitung. Viele waren noch zurückgeblieben. Mitten in der Nacht waren sie im Objekt Bermsthal angekommen. Dort hatte eine Menge Leute herumgestanden, von denen keiner Bescheid wußte. Erst gegen Morgen waren sie endlich in dieses Lager kutschiert worden.
    Christian stand auf und begann den Inhalt seines Rucksacks in den Spind zu räumen. Dann öffnete er den Pappkoffer, obenauf lagen zehn, zwölf Bücher, er stapelte sie sorgsam auf den Nachtschemel. Axel Munthe, Traven, Tucholsky. Der Tucholsky war eine Ausgabe aus der Vorkriegszeit. Professor Reinhardt Kleinschmidt hatte ihn über den großen Zusammenbruch gerettet und eines Abends seinem Sohn geschenkt. Das mochte zwei Jahre her sein, aber Christian erinnerte sich genau.
    Er hatte an einem Aufsatz über das Thema ›Ordnung‹ gesessen, einfach schlechthin ›Ordnung‹. Und hatte von |22| zivilisierten Völkern geschrieben, von Grundvoraussetzung allen menschlichen Seins. An diesem Tag nun hatte Vater, was er sonst kaum tat, sein Heft zu sehen verlangt und, als er den Satz mit der ›weißen Rasse‹ las, erklärt, es wäre an der Zeit, daß er, Christian, sich diesen Unsinn aus dem Gedächtnis streiche. Er hatte sich die Zeit genommen, seinem Sohn einen Vortrag zu halten: Die Menschen, summarisch gesprochen, könnten ohne gewisse Gottbegriffe nicht leben, es hänge aber lediglich von der Struktur der herrschenden Anschauungen ab, welche Wortgötzen zur alleinseligmachenden Religion erhoben würden: Gott, Demokratie, Rasse, Klasse. Es seien dies höchst nützliche Erfindungen zu dem Zweck, ein System zu errichten, mit dessen Hilfe man regieren könne und in den Regierten das Gefühl erzeugen, auf die einzig vernünftige Weise regiert zu werden. – Ich sah alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind, Salomo eins vierzehn. – Und damit hatte er Christian entlassen. Der wußte längst, daß der Vater seinen Antworten auswich wie alle Erwachsenen. Er fand das überall: fand die Ausflucht und die Halbheit, fand immer weniger Wahrheiten, es gab kaum etwas in der Welt, das der Prüfung standhielt, kaum etwas, das wirklich so war wie die großen Worte, die darüber gemacht wurden.
    Christian schreckte auf. Er hörte die Tür hinter sich ins Schloß schlagen, hörte Schritte, er legte das Buch auf den Nachtschemel und drehte sich um. Den Mann, der da ins Zimmer kam, hatte er schon gesehen.
    Fischer stand am Tisch, er musterte sie schweigend. Er begann in einem abgegriffenen Notizbuch zu blättern. Die Hände strichen über die Seiten, der Zeigefinger stieg zum Mund auf, blieb dort lange. Die Hände schienen zu groß für Bleistift und Papier, sie schienen gemacht für ernstere Dinge. Fischer sah sich im Zimmer um. Er stand dort auf eine dauerhafte Art, er sah Christian an, er sagte: »Kleinschmidt?«
    »Ja«, sagte Christian.
    |23| »Oberschüler«, sagte Fischer leise, »zehnten achten zweiunddreißig.« Laut: »Was hast du in Physik?«
    »Eins«, sagte Christian verblüfft. Er saß noch auf der Bettkante, saß wie vorher, dachte einen anderen Gedanken: Arbeiter reden einen immer mit
du
an. Das
Sie
war da für die Höhergestellten, Bessergestellten, vielleicht die Alten. Also war man ganz unten, voraussetzungslos, es galt das Hiesige. Aber Fischer stand da, war nicht wegzudenken, nicht zu übersehen. Er erklärte, daß sie in seinem Revier arbeiten würden, in seiner Schicht. Zunächst würden sie als Fördermänner arbeiten, dann würde man weitersehen. So also sah ein Steiger aus. Und: Hauer würden gebraucht, Schießer, Markscheider, Radiometristen. Das letzte ging deutlich in Christians Richtung. Der konnte sich aber unter einem Fördermann nichts vorstellen, nichts unter einem Radiometristen. Im Bus war von Schichtschreibern und Schachtsanitätern die Rede gewesen, zwei Graubärte ließen das hoffen. Hauer, hatte es geheißen, ist eine Schinderei. Dann waren die Sitten erörtert worden, die hier

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