Runlandsaga - Sturm der Serephin
Was wollte der Wächter ihr da aufbürden!
Ihr Zuhause aufzugeben, den Ort, den sie so gut kannte wie die Linien in ihren Handflächen, und in die Fremde zu gehen, an Orte, die von Menschen bewohnt wurden, Wesen, die ein Voron nur daher kannte, dass er sie tötete, wenn sie seinem Stamm zu nahe kamen! Es war unvorstellbar.
Konnte das wirklich Talháras‘ Wille sein?
Ob der Wächter sie gehört haben mochte oder nicht, er schwieg. Keine andere Stimme als die ihrer eigenen Gedanken erfüllte ihren Geist. Die Antwort, die Neria sich selbst geben musste, lag in den Ereignissen verborgen, die nach ihrer Flucht geschehen waren.
Sie hatte das Bewusstsein verloren. Die Bilder dessen, was Talháras ihr gezeigt hatte, waren mehr gewesen, als ihr tierischer Körper ertragen konnte. Die Tiefe ihrer Bewusstlosigkeit war so weit gegangen, dass sie nicht einmal gespürt hatte, wie sie sich zurückverwandelt hatte. Selbst jetzt noch, mit dem Verstand eines Menschen, der für gewöhnlich einen großen Abstand zu den Erinnerungen seines Wolfskörpers besaß, war es schwer, an die Bilder der Festung am Meer und des unheimlichen schwarzen Turms zurückzudenken und nicht zu erkennen, was dahinter lag: Die Wucht einer entfesselten Gewalt, die diese Welt selbst bedrohte, nicht nur ihren Stamm, nicht nur den Roten Wald oder das Wildland. Talháras hatte ihr nichts anderes gezeigt, als die Vernichtung von allem, was die Träumende Cyrandith erschaffen hatte. Das Ende des Traumes.
»Bei allen Geistern, was hast du mir angetan, Urahne!«, murmelte sie leise, während sie energisch weiter an der Mauer voranschritt und ihr Tränen in die Augen traten. Ihre Stimme erschien ihr rau und misstönend, als hätte sie lange Zeit nicht mehr gesprochen. Sie musste unbedingt mit den Anführern des Stammes reden. Sie würden wissen, was das alles bedeutete und was am Besten zu tun war. Sie würden ihr Rat geben.
Es wird schon bald beginnen , hatte Talháras gesagt. Der Mond würde in den nächsten Tagen allmählich abnehmen. Wovor auch immer der Wächter sie gewarnt hatte, es rückte unaufhaltsam näher.
Sie blieb stehen und wischte sich mit einer hastigen Bewegung über die nassen Wangen. Ihr Blick schweifte über die Nordseite des Sees, dem der schwache Morgenwind kaum nennenswerte Wellen entlocken konnte, und zu den umliegenden Birken, die wie immer die ersten Bäume waren, an deren Zweigen das helle Grün frischer Blätter leuchtete.
Kaum jemand würde glauben, dass das Ende der Welt an einem Morgen im Frühling einträfe ,dachte sie, an einem Morgen wie diesem. Wenn das Ende kommt, dann wäre ein Tag im Herbst doch viel passender. Oder im Winter.
Aber wenn der Urahn die Wahrheit gesprochen hatte, würde sich bald ein Riss in dieser Welt auftun, der breiter und breiter werden würde, ein Riss, der das Rad des Lebens selbst zu zerschmettern drohte. Kein Weiterleben, weder in einem anderen Körper, noch als Geist. Nur die Leere und das Vergessen. Die Vorstellung war schrecklich. Ihre Endgültigkeit flößte selbst einer Jägerin wie ihr eisiges Entsetzen ein.
Weshalb hast du mir all das gezeigt? Was könnte ich ausrichten, um dieses Grauen zu verhindern?
Falls Talháras sie hörte, so schwieg er.
Langsam ging Neria weiter der Siedlung entgegen, während sie von zahllosen Fragen über die Aufgabe, die der Wächter ihr übertragen hatte, heimgesucht wurde und jede tröstliche Antwort ausblieb.
Diese Erzählung findet im zweiten Band
der Runlandsaga ihre Fortsetzung.
Personenregister
Arcad
Endar, Harfenbauer
Arcon
Jagdhund von Harcalja
Arvid
Vater von Themet und Wirt des Schwarzer Anker
Ashcirizul
Maugrim, aus dessen Blut Carnaron, der Schmetterer, erschaffen wurde
Baram
Schmied aus Andostaan
Calach
Schiffskoch der Suvare
Callis
Geschichtenerzähler
Carnaron
Schmetterer, Streiter der Götter des Chaos
Celvar
Gott des Chaos
Corrya
Anführer der Wachmannschaft von Andostaan
Cyrandith
Herrin des Schicksals und höchste Göttin, die in ihrer Festung Carn Wyryn das Geschick allen Lebens in allen Welten träumt
Daniro
Zimmermann der Suvare
Darcon
Gott des Chaos
Doran
Mitglied von Sareths Bande
Eivyn
Seemann der Suvare
Enris
Sohn eines Fellhändlers aus Tyrzar
Escyn
Göttin der Ordnung
Harcalja
Jäger und Fallensteller
Helja
Mirkas Mutter
Ingyrýne
Inkirin, Bote
Irimar
Gott der Ordnung
Lani
Göttin der Ordnung
Larcaan
Kaufmann aus Andostaan
Larian
Händler aus Andostaan
Maja
Barams verstorbene Ehefrau
Margon
Magier, früher
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