Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
aber alle Vorkehrungen treffen, daß wir nicht überrascht werden, denn dieser Mensch ist im stande, uns heut noch zu überfallen.«
»Schwerlich!«
»Sie glauben es nicht? Warum nicht?«
»Er hat nur die Gefangenen befreien wollen. Hätte er es auf einen Überfall abgesehen, so würde er ihn ja vorhin ausgeführt haben.«
»Mag sein; aber ich traue ihm nicht. Ich kenne ihn nicht so, wie Sie ihn kennen, sondern etwas näher und genauer. Und er – na, er kennt mich auch ein wenig – – von früher her. Ich weiß sogar, daß er meine Stimme kennt. Wenn er mich an dieser erkannt hat, so ist es gewiß und zehnfach, hundertfach gewiß, daß er sich an meine Fersen heftet.«
»Haben Sie eine Rechnung miteinander?«
»Ja, und keine gewöhnliche. Kommen Sie also! Ich weiß, daß wir keine Zeit zu verlieren haben.«
Sie und die Soldaten und Indianer, welche bei ihnen stehen geblieben waren, gingen schleunigst nach dem Lager zurück, wo der Gambusino den Befehl gab, schnell zu satteln und dann die Feuer auszulöschen, da man aufbrechen müsse.
»Fort sollen wir?« fragte Antonio Perillo. »Ist das notwendig?«
»Ja, wir müssen fort, mindestens so weit, daß dieser Vater Jaguar uns wenigstens während der Nacht nicht finden kann.«
»Er wird es nicht wagen, sich an uns zu machen!«
»Pah! Ich sage Ihnen, daß er es zwar nicht wagen, aber doch thun wird, denn für ihn ist so etwas kein Wagnis.«
Da nahm der Häuptling, ihm beipflichtend, das Wort:
»Wenn der Jaguar es ist, der die Gefangenen befreit hat, so müssen wir fort. Ich kenne ihn. Und nur dieser Jaguar konnte es fertig bringen, diese beiden weißen Männer fortzuholen. Ich durchschaue es. Er hat noch mehr Leute bei sich gehabt und von ihnen das Feuer mit Pulver anbrennen lassen. Während wir es auslöschten und nicht auf die Gefangenen achteten, hat er sie weggenommen.’ Er weiß, daß ich ihm den Tod geschworen habe. Wir müssen fort, da wir uns hier nicht verteidigen können. An einem besseren Ort werden wir anhalten, um uns zu beraten.«
Hierauf ließ sich nun nichts mehr sagen. Man sattelte die Pferde und bemerkte nun erst, daß vier derselben samt dem Lederzeuge und den beiden Paketen des Gefangenen fehlten. Glücklicherweise gab es einige Reservepferde, so daß man nicht doppelt zu reiten brauchte. Als die Feuer ausgelöscht worden waren, setzte sich der Zug in Bewegung, indem nach Indianerart ein Reiter immer hinter dem andern ritt.
Der Weg führte immer tiefer in den Einschnitt hinein, welcher nach und nach immer breiter wurde. Hätte derselbe eine Sackgasse gebildet, so wäre es um diese Schar geschehen gewesen, da sie dem Vater Jaguar hätte in die Hände fallen müssen. Aber der Häuptling »Tapfrer Arm« kannte die Gegend zu genau, als daß er sich hätte irren können. Nach Verlauf von zwei Stunden wich der Wald zu beiden Seiten zurück, und man kam auf einen weiten, offenen Kamp, in welchen man eine Viertelstunde hineinritt, um dann zu einer kurzen Beratung anzuhalten. Die Reiter stiegen von den Pferden und bildeten einen Kreis, in welchem die Weißen mit dem Häuptlinge Platz nahmen.
»Selbst wenn der Jaguar uns bis an das Ende des Waldes gefolgt wäre,« sagte der letztere, »hier würde er uns nicht finden. Es ist dunkel, und er kann nicht sehen, nach welcher Richtung wir uns gewendet haben. Die Señores mögen beraten, was geschehen soll.«
»Eine Beratung nach Eurer langen und langsamen Weise werden wir nicht halten,« antwortete ihm der Gambusino. »Wir werden kurz sein und dann gleich wieder aufbrechen, um einen möglichst weiten Weg zwischen ihn und uns zu legen.«
»So denken Sie wirklich, daß dieser gefährliche Mann uns folgen wird?«
»Auf jeden Fall, wenn er mich nämlich an der Stimme erkannt hat.«
»Er hat Sie erkannt.«
»Woher willst du das wissen?«
»Er braucht Sie gar nicht an der Stimme erkannt zu haben, denn er hat Sie gesehen.«
»Nein.«
»Er hat Sie gesehen! Denken Sie, daß der Jaguar für sich das Leichteste wählt und seine Leute das Schwere und Gefährliche ausführen läßt?«
»Nein. Wie ich ihn kenne, ist es umgekehrt. Er wird gerade das Allerschwierigste auf sich nehmen.«
»Und was war heute das Schwerste?«
»Das Losschneiden der Gefangenen, weil er sich da trotz der hellen Feuer in unsre Nähe wagen mußte.«
»So war also er es, der dies vollbracht hat. Er ist nahe bei uns gewesen, hat uns alle gesehen und auch gehört, was wir gesprochen haben.«
»Demonio! Das ist allerdings
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