Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
besorgt wegen des unvorsichtigen Kantors und lenkte also unwillkürlich die Schärfe seiner Sinne in die Ebene hinaus und stand auch so, daß er derselben das Gesicht zukehrte. Daher sah er nicht, daß jetzt drei Indianer aus dem Waldessaume hervortraten und sich mit unhörbaren Schritten nach ihm hinbewegten. Plötzlich fühlte er zwei Hände an seinem Halse. Er wollte rufen, brachte aber nur ein kurzes Röcheln hervor; dann streckte ihn ein Hieb mit dem stumpfen Tomahawk besinnungslos zu Boden.
Sam Hawkens und der Hobble hatten wohl zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt, ohne eine Spur des Gesuchten zu finden, da vernahmen sie plötzlich einen lauten Kriegsschrei von Winnetou, und nur einen Augenblick später erklang die Stimme Old Shatterhands:
»Wacht auf, der Feind ist – – –«
Weiter kam er nicht; die Worte endeten in einem Gurgeln, welches bis zu ihnen drang.
»Herrgott, nun sind wir überfallen worden! Schnell hin!« rief Frank und machte eine Drehung, um sich nach dem Lager zurückzuwenden. Da wurde er von Sam ergriffen und zurückgehalten.
»Bist du toll?« raunte ihm dieser mit unterdrückter Stimme zu. »Horch! Es ist schon vorbei. Wir können nichts mehr thun.«
Es ertönte jetzt ein vielstimmiges indianisches Siegesgeheul. Der Hobble-Frank versuchte, sich loszureißen und rief:
»Ich muß aber hin, ich muß! Wollen wir unsre Freunde abmurksen lassen, ohne ihnen beizuschtehen?«
»Leise, leise, du Unglücksrabe!« ermahnte Sam. »Ich sage dir, daß wir ihnen nur nützen können, wenn wir nicht hingehen. Es hat gar keinen Kampf gegeben; sie sind im Schlafe überfallen worden; das kann uns beruhigen.«
»Beruhigen? Bist du denn bei Troste und Verschtand? Daß unsre Kameraden überfallen worden sind, das soll uns beruhigen? Soll ich ihnen nich zu Hilfe kommen? Laß mich los, sonst kannst du eene Kugel durch deine Phrenologie kriegen!«
Er rang mit Sam; dieser hielt ihn aber fest und belehrte ihn:
»Bedenke den Mondschein! Die Feinde sehen uns doch kommen und schießen uns nieder, ehe wir für unsre Kameraden auch nur einen Finger rühren können. Es ist ihnen nichts geschehen, grad weil sie im Schlafe überrumpelt worden sind; sie liegen gefesselt dort bei einander, und wenn wir es klug anfangen, können wir sie wahrscheinlich retten.«
»Retten? Das läßt sich eher hören. Ich gebe mein Leben hin, sie wieder frei zu machen!«
»Das ist hoffentlich gar nicht notwendig. Jetzt freut es mich, daß du mich geweckt hast, um den Kantor zu suchen. Wäre dies nicht geschehen, so lägen wir auch mit bei den Gefährten, an Händen und Füßen gebunden. So aber sind wir frei, und wie ich den alten Sam Hawkens kenne, wird er nicht eher ruhen, als bis sie wieder losgekommen sind, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!«
Der Hobble war noch nicht überzeugt. Er befand sich in großer Aufregung und stand, nach dem Lager hinhorchend, mit vorgebeugtem Oberkörper da, wie bereit, augenblicklich fortzurennen. Darum hielt Hawkens ihn noch immer fest und redete auf ihn ein, bis Frank sich endlich beruhigte. Sam zog ihn dann mit sich fort. Am Walde angekommen, schlichen sie im Dunkel desselben längs des Randes hin; aber sie waren noch nicht weit gekommen, so blieben sie stehen, denn es erscholl ein sehr lauter Ruf:
»Ustah arku etente – kommt herauf, ihr Männer!«
»Halt, wir müssen stehen bleiben,« flüsterte Hawkens. »Die Leute, welche der Häuptling ruft, werden da am Abhang heraufkommen, und wir stoßen mit ihnen zusammen, wenn wir weitergehen. Horch!«
Die Stimme des Anführers war bis hinab in das Thal gedrungen. Bald hörte man das Rollen von Steinen, das Brechen und Knacken von Zweigen und das Geräusch von vielen kletternden Fußtritten. Die so plötzlich Ueberfallenen und Ueberwundenen sollten hinab in das Thal geschafft werden, wozu mehr Indianer erforderlich waren, als sich oben befanden. Um solche Leute, wie hier gefangen genommen worden waren, zu transportieren, genügten fünfzig oder sechzig Krieger nicht. Es mußten doch auch alle ihnen abgenommenen Sachen und ihre Pferde hinabgeschafft werden.
Nun gab es ein Gewirr von befehlenden, fragenden, antwortenden Stimmen; dann hörten die beiden Lauscher Huftritte und Menschenschritte näherkommen. Sie sahen einen langen Zug von Menschen und Pferden vorübergehen; da er vom Monde beleuchtet wurde, konnten sie die einzelnen Gestalten deutlich unterscheiden. Ihre Freunde waren alle an den Händen und Füßen gefesselt, an den letzteren so,
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