Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
bei zahlreichen Flaschen und Gläsern lehnte.
» Rail-roaders? « fragte er, indem er ihren Gruß nickend erwiderte.
»Nein, Sir,« antwortete der Blonde. »Wir haben nicht die Absicht, den hier sitzenden Gentlemen ihren Verdienst zu schmälern. Wir sind Westmänner und suchen ein Feuer, an dem wir uns trocknen können. Der Engineer schickt uns zu Euch.«
»Könnt ihr zahlen?« erkundigte er sich, indem er ihre langen Gestalten mit einem scharf taxierenden Blicke überflog.
»Ja.«
»Dann könnt ihr alles haben, was ihr braucht, auch später ein feines, abgesondertes Lager zum Schlafen da hinter den Kisten und Fässern. Setzt euch da an den Tisch am Herd; da gibt es Wärme genug, der andre ist für die Beamten und höhern Gentlemen.«
» Well! Ihr rechnet uns also zu den niedrigen Gentlemen. Das hätte ich Euch bei unsrer Länge nicht zugetraut. Thut aber nichts. Bringt uns Gläser, heißes Wasser, Zucker und Rum! Wir wollen uns auch innerlich anwärmen.«
Sie setzten sich an den ihnen angewiesenen Tisch, welcher so nahe am Feuer stand, daß ihre nassen Anzüge bald trocknen konnten, bekamen das Verlangte und brauten sich einen Grog. Die weißen Arbeiter hatten gehört, daß sie keine Konkurrenz zu befürchten hatten; sie waren befriedigt und setzten ihr unterbrochenes Gespräch lärmend wieder fort.
An dem für Beamte und »höhere Gentlemen« bestimmten Tische saß eine einzelne Person, ein junger, vielleicht nicht ganz dreißig Jahre zählender Mann, welcher wie ein weißer Jäger gekleidet war, aber der kaukasischen Rasse nicht angehörte, was sich aus der Farbe seiner Haut und der Bildung seines Gesichts schließen ließ. Er war jedenfalls ein Mestize, einer jener Mischlinge, welche zwar die körperlichen Vorzüge, aber dazu leider auch die moralischen Fehler ihrer verschiedenfarbigen Eltern erben. Seine Glieder waren kräftig und geschmeidig wie diejenigen eines Panthers und seine Gesichtszüge intelligent, aber seine dunkeln Augen lagen unter den tief gesenkten Lidern und Wimpern sprungbereit versteckt wie ein wildes Katzenpaar, welches eine Beute belauert. Er schien die beiden Fremden gar nicht zu beachten, ließ jedoch seine Blicke oft und verstohlen zu ihnen fliegen und neigte den Kopf zur Seite nach ihnen hin, um zu hören, wovon sie sprechen würden. Er hatte Grund zu erfahren, welche Absicht sie in diese Gegend geführt hatte und ob sie bleiben oder nicht bleiben wollten. Zu seinem Leidwesen verstand er keines ihrer Worte, obgleich sie laut genug miteinander redeten, denn sie bedienten sich einer Sprache, die er nicht kannte, der deutschen.
Als sie ihre Gläser gefüllt hatten, tranken sie sich dieselben zu und leerten sie bis auf den Boden. Der Dunkelköpfige setzte das seinige vor sich hin und sagte:
»So, das war der Willkommen, den wir einander schuldig sind, und nun wieder zur Sache! Also Sie sind eigentlich Büchsenmacher, und Ihr Vater war es auch. Das läßt übrigens, nebenbei bemerkt, darauf schließen, daß Sie ein guter Schütze sind. Nehmen wir einmal an, daß wir wirklich Verwandte seien, so will ich Ihnen offen sagen, daß ich noch nicht weiß, ob ich mich auch verwandtschaftlich zu Ihnen verhalten darf.«
»Warum sollten Sie das nicht dürfen?«
»Wegen der Erbschaft.«
»Wieso?«
»Ich bin um sie betrogen worden.«
»Ich doch auch!«
»Ach wirklich? Sie haben auch nichts bekommen?«
»Keinen Pfennig, keinen roten Heller!«
»Aber es ist doch eine so bedeutende Summe an die Erben drüben ausgezahlt worden!«
»Ja, an Timpes Erben in Plauen, jedoch nicht an mich, obwohl ich ein ebenso echter Timpe bin wie sie.«
»Erlauben Sie mir, diese Echtheit einmal zu prüfen! Wie ist Ihr vollständiger Name?«
»Kasimir Obadja Timpe.«
»Der Ihres Vaters?«
»Rehabeam Zacharias Timpe.«
»Wieviel Brüder hatte Ihr Vater?«
»Fünf. Die drei jüngsten sind nach Amerika gegangen. Sie glaubten, da schnell reich werden zu können, weil dort viele Gewehre gebraucht wurden. Die Brüder waren alle Büchsenmacher.«
»Wie hieß der zweite Bruder, der in Plauen geblieben ist?«
»Johannes Daniel. Er ist gestorben und hat zwei Söhne hinterlassen, nämlich Petrus Micha und Markus Absalom, welche die hunderttausend Thaler geerbt und aus der Stadt Fayette in Alabama geschickt bekommen haben.«
»Das stimmt; das stimmt abermals! Mit Ihrer Orts-und Personenkenntnis beweisen Sie, daß Sie wirklich mein Vetter sind.«
»O, ich kann es noch besser beweisen. Ich habe meine Papiere und
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