Saemtliche Werke von Karl May - Band 01
eine Weile schweigend und fragte dann:
»Timpes Erben? Was ist das für ein Name, Sir?«
»Wißt Ihr das nicht?« lautete die Antwort.
»Nein.«
»Hm! Sonderbar! Alle meine Bekannten und Freunde wissen es!«
»Ihr vergeßt, daß wir uns vor wenig über einer Stunde zum erstenmal gesehen haben.«
»Richtig! Da könnt Ihr freilich noch nicht wissen, wer Timpes Erben sind. Ihr werdet es aber vielleicht erfahren.«
»Vielleicht?«
»Ja.«
»Wann?«
»Wenn wir länger beisammen bleiben.«
»Wenn ich es nun jetzt erfahren möchte, Sir?«
»Jetzt? Warum?«
»Weil ich Timpe heiße.«
»Was? Wie? Ihr heißt Timpe? Timpe ist Euer Name?«
»Ja.«
»Wirklich? Ist das wahr?«
»Warum sollte ich mir diesen Namen beilegen, wenn er nicht der meinige wäre?«
» Wonderful! Ich suche nach Timpe seit langen Jahren, überall, auf allen Bergen und in allen Thälern, im Osten und im Westen, bei Tag und bei Nacht, bei Sonnenschein und bei Regen, und nun, da ich es längst aufgegeben habe, ihn zu finden, da reitet er hier in diesem Wetter an meiner Seite und läßt mich beinahe in diesem schöne Flusse ersaufen, ohne mir zu sagen, wer er ist!«
»Ihr sucht nach mir?« fragte sein Begleiter verwundert.
»Ja, ja, und zum drittenmal ja!«
»Weshalb?«
»Na, wegen der Erbschaft! Weshalb denn sonst?«
»Erbschaft? Hm! Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?«
»Ich bin auch ein Timpe.«
»Auch einer? Woher denn?«
»Von drüben herüber.«
»Aus Deutschland?«
»Natürlich! Das ist doch ganz selbstverständlich! Oder kann ein Timpe wo anders geboren worden sein?«
»Allerdings, denn ich zum Beispiel bin hier in den Staaten geboren.«
»Aber von deutschen Eltern!«
»Mein Vater war ein Deutscher.«
»So seid Ihr wohl der deutschen Sprache mächtig?«
»Ja.«
»Nun, so redet doch, wenn Ihr einen Deutschen vor Euch habt, deutsch, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!«
»Na, Sir, nur sachte, sachte! Ich habe doch nicht gewußt, daß Ihr ein Deutscher seid!«
»Aber nun wißt Ihr es. Ich bin ein Deutscher, ein Timpe sogar, und verlange, daß Deutsche deutsch mit mir reden.«
»Welches ist Eure Vaterstadt?«
»Ich stamme aus Hof in Bayern.«
»Da gehen wir einander nichts an, denn ich stamme aus Plauen im Voigtlande.«
»Oho! Nichts angehen? Mein Vater stammt auch aus Plauen und ist von dort nach Hof verzogen.«
Der Dunkelhaarige hielt sein Pferd an. Der Regen hatte nach einem heftigen Donnerschlage plötzlich aufgehört, und die Wolken waren vom Sturme zerteilt worden. Zwischen ihnen blickten helle, blaue Stellen des Himmels hernieder, und die beiden Männer konnten gegenseitig ihre Gesichter erkennen.
»Aus Plauen nach Hof verzogen?« fragte er. »Da ist es freilich nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß wir Verwandte sind, denn der wohl sonderlich klingende Name Timpe ist kein so häufig vorkommender, daß die Träger desselben drüben zu Hunderttausenden herumlaufen, wie die Müllers, Schmidts, Schulzes und andre. Was ist Euer Vater gewesen?«
»Büchsenmacher, und ich bin es auch geworden.«
»Das stimmt, das stimmt! Das ist ja ein Zufall, wie es keinen zweiten geben kann! Aber wollen uns nicht hier aufhalten; das Gewitter kann leicht zurückkehren, und wir haben noch den schwierigsten Teil des Thales vor uns; da wollen wir das jetzige annehmbare Wetter benutzen. Wir können besser weiter sprechen, wenn wir an Ort und Stelle sind. Also kommt, Sir, oder Cousin, wenn Euch das besser gefällt!«
»Cousin? Warum nicht Vetter? Das ist Deutsch und wird wohl auch richtig sein. Also vorwärts!«
Sie ritten weiter. Das Thal wurde bald so eng, daß nur wenig Raum zwischen dem Flusse und der beinahe senkrecht aufsteigenden diesseitigen Felswand blieb. Und dieser Raum bestand nicht etwa aus grasigem Boden, sondern es gab da eine Menge Gesträuch, durch welches sich die Pferde oft geradezu drängen mußten. Hätte sich das Gewitter nicht verzogen gehabt, und wäre es so finster wie vorher geblieben, so dürfte es unmöglich gewesen sein, hier vorwärts zu kommen.
Das hielt eine bedeutende Strecke an, bis das Thal sich wieder verbreiterte, um nach einer halben Stunde wieder eine sehr schmale Schlucht zu bilden, die aber nicht lang war, sondern sehr bald auf den Platz mündete, welcher Firwood-Camp genannt worden war, weil es hier nur Tannen gab, welche in riesiger Größe zum Himmel aufstrebten.
Es kreuzten sich hier zwei Thäler in fast grad rechtwinkeliger Richtung, nämlich das Thal des Flusses, an
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