Sagen des klassischen Altertums
empor und sprach zu Achill:
»Kampfbruder, mir drang ein unendliches Getöse zu den Ohren, gleich als hätte sich irgendwo ein gefährlicher Kampf erhoben. Laß uns gehen, daß die Trojaner uns nicht zuvorkommen und doch einmal die Schiffe verbrennen!« Diese Worte regten den Peliden auf, und jetzt wurde auch sein Ohr von dem Jammergeschrei erreicht. Eilig warfen sich beide in ihre schimmernde Rüstung und gingen, in Waffen leuchtend und von Streitlust brennend, der Gegend zu, von welcher der Hall des Kampfes ihnen entgegenlärmte.
Durch die gebrochenen Reihen der Argiver zuckte eine Freude, als sie die beiden tapfersten Männer heraneilen sahen. Diese aber stürzten sich sogleich mit brennendem Eifer in den Kampf und fingen an, unter dem trojanischen Heere zu würgen. Ajax warf sich auf die Männer, und seinen ersten Speerstößen erlagen vier Trojaner. Achill aber kehrte sich gegen die Amazonen, und vier der Jungfrauen erlagen seinen Streichen: dann stürzten sich beide miteinander auf die Masse des feindlichen Heeres, und mit geringer Mühe waren die noch jüngst so dicht stehenden Reihen der Feinde gelichtet.
Als Penthesilea dies inneward, stürzte sie unmutig ihren beiden Feinden entgegen, wie ein Panthertier den Jägern entgegeneilt. Jene aber reckten sich, daß ihre ehernen Panzer klirrten, und hielten ihre Lanzen empor. Die Amazone warf ihren Speer zuerst auf Achill. Der Schild des Helden fing ihn auf, daß er zersplitternd abprallte, als wäre er auf einen Felsen gestoßen. Mit der zweiten Lanze zielte sie jetzt auf Ajax, und zugleich rief sie beiden Helden zu: »Wenn auch mein erster Wurf mißlang, dieser zweite soll euch Prahlern Kraft und Leben rauben, die ihr euch rühmet, die Stärksten im Heere der Danaer zu sein, aber jetzt nur hergekommen seid, um zu erfahren, daß ein Weib mehr vermag als ihr beide zusammen!« So rief sie und brachte durch ihre Rede die Helden zum Lachen. Ihre Lanze aber erreicht die silberne Beinschiene des Ajax, und so gerne sie in seinem Blute geschwelgt hätte, vermochte sie doch nicht einmal seine Haut zu ritzen, denn die Waffe prallte von der ehernen Fußbekleidung ab. Ajax, ohne sich viel um die Amazone zu bekümmern, stürzte sich auf die Schlachtreihen der Trojaner und überließ dem Achill die Feindin, denn er zweifelte in seinem Geiste keinen Augenblick, daß dieser allein mit ihr fertig werden würde, so bald wie ein Habicht mit einer Taube.
Penthesilea, als sie sah, daß auch ihr zweiter Wurf ohne Erfolg geblieben, stieß einen lauten Seufzer aus; Achill aber maß sie mit seinen Blicken und rief ihr zu: »Sage mir, Weib, wie hast du dich erdreisten können, dich so übermütig uns entgegenzuwerfen und uns, die gewaltigsten Helden der ganzen Erde, zu bekämpfen, uns, die wir vom Blute des Donnerers selbst entsprossen sind und vor welchen Hektor bebte und erlegen ist? Der Wahnsinn muß aus dir gesprochen haben, als dein Mund uns heute mit dem Tod bedrohte; denn siehe, dein eigenes letztes Stündlein ist gekommen.« Mit diesen Worten drang er auf sie ein, die unbezwingliche Lanze, das Werk des Zentauren Chiron, seines Erziehers, schwingend. Ihr Wurf traf die Kriegerin oberhalb der rechten Brust, so tief, daß alsbald das schwarze Blut aus der Wunde strömte und alle Kraft ihre Glieder verließ. Die Axt fiel ihr aus der Hand, und ihr Auge hüllte sich in Finsternis. Doch erholte sie sich noch einmal und sah ihrem Feinde, der eben heranstürmte, sie vom flüchtigen Rosse zu ziehen, fest ins Antlitz. Sie besann sich einen Augenblick, ob sie ihr Schwert aus der Scheide ziehen und sich wehren oder vom Rosse steigen und zu dem Sieger flehend ihm Gold und Erz genug für ihr Leben versprechen sollte. Aber Achill ließ ihr keine Zeit, sich zu besinnen. Im Zorn über ihren Stolz durchbohrte er Roß und Reiterin mit einem Stoße. Alsbald glitt diese herab und sank in den Staub und ins Verderben, am Speer zuckend und mit dem Rücken an das flüchtige Streitroß angelehnt, das sterbend auf den Knien lag, sie selbst einer schlanken Tanne gleich, die der Nordwind geknickt hat.
Als die Trojaner den Fall ihrer Heldin gewahr wurden, stürzten sie voll Betäubung zurück nach den Toren der Stadt, wehklagend über den Tod der Amazone und ihrer eigenen vielen Stammesverwandten. Der Sohn 218
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
des Peleus aber rief mit Frohlocken: »So liege du denn, du armes Geschöpf, den Raubvögeln und Hunden zur Weide! Wer hat dich auch mit mir kämpfen
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