Sagen des klassischen Altertums
darzubieten. Er folgte mir als Gastfreund in unsere Wohnung, und beim Abschied verehrte er mir Köcher und Pfeile, ein golddurchwirktes Kriegsgewand und zwei vergoldete Zäume, herrliche Gaben, die jetzt mein Sohn Pallas besitzt. Darum dürfet ihr euch zum voraus als meine Verbündeten betrachten, und morgen frühe schon sollt ihr, verstärkt durch unsern Beistand, nach eurem Lager zurückkehren. Unterdessen begehet mit uns dieses schöne Jahresfest, das wir nicht verschieben dürfen.« So sprach er, hieß die aufgeräumten Becher und Speisen wieder zurückbringen und die Trojaner auf den Rasenbänken Platz nehmen, den Äneas selbst aber führte er zu einem herrlichen gepolsterten Sessel aus Ahorn, über den ein zottiges Löwenfell gebreitet war. Der Priester des Altares und auserlesene Jünglinge brachten geröstete Stücke der Stiere herbei, häuften das Brot in Körben auf und reichten um die Wette Wein herum.
Den reichlichen Schmaus würzte der König Euander mit einer schönen Erzählung von der Veranlassung dieses Opfers, indem er mit den Fingern seinen Gästen eine Felsenkluft wies, in welcher der gräßliche Halbmensch Kakus, der Sohn des Vulkanus, gehaust, der dem Herkules die erbeutete Rinderherde des Riesen Geryones stahl und von jenem bezwungen wurde. Für den Sieg über dieses Untier brachten die dankbaren Arkadier noch immer dem Herkules als Schutzgott der Gegend ein Jahresopfer dar.
Über dieser Erzählung war der Abend herangerückt, und nach vollendetem Opfer begaben sich alle in die Stadt. Diese war nur klein; wer hätte ahnen können, daß einst die Weltstadt Rom an ihrer Stelle stehen sollte? denn die Arkadier waren ein ländliches Hirtenvolk und hatten aus ihrer Heimat keine Schätze mitgebracht. Aber Mut und nervige Arme konnten sie den Trojanern zum Beistand anbieten. Deswegen gefiel es dem Äneas doch in dem Hause Euanders, das mehr einer Hütte denn einem Palaste glich, und er sank auf einem weichen Blätterlager, über welches das zottige Fell eines Bären gebreitet war, in sanften Schlummer.
DER SCHILD DES ÄNEAS
Mittlerweile ging Vulkanus, von seiner Gattin Venus durch Bitten getrieben, in die Ätnakluft der Zyklopen, die Waffen des Äneas, die ihm den Sieg über die Latiner verschaffen sollten, zu schmieden. Er nahte sich der donnernden Höhle, die ganz von Feueressen durchflammt war. Gewaltige Schläge auf den Amboß stöhnten widerhallend weit hinaus in die Ferne, im Gewölbe sprühten zischende Stahlschlacken, und aus den Öfen atmete unaufhörliche Glut. Dort in der weiten Kluft schmiedeten das Eisen Tag und Nacht hindurch, mit aufgestülpten Ärmeln, die rußigen Zyklopen, Brontes, Steropes und Pyrakmon, mit unzähligen Knechten. Die einen waren gerade an einem halbfertigen Blitzstrahl, der mit zwölf Zacken geschmiedet wurde, und sie schweißten eben die drei Hagelspitzen, die drei Regenspitzen, die drei 360
Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
Glutspitzen und die drei Sturmwindspitzen daran und mischten Flamme, Donnergeroll und Entsetzen darunter. Die andern verfertigten dem Mars Räder und Wagen, wieder andere aus Gold und
Drachenschuppen den glatten Ägisschild der Minerva mit dem Medusenhaupte.
»Weg mit allem«, rief Vulkanus, in die Höhle tretend, »auf anderes eure Gedanken gerichtet, ihr Zyklopen! Dem tapfersten Manne sollt ihr jetzt seine Kriegswaffen schmieden; da gilt es Kraft, Kunst und Erfahrung: ans Werk ohne Verzug!« Die Zyklopen kannten schon die kurzangebundene Weise ihres Herrn und machten sich rasch an die Arbeit. Bald floß das Erz und Gold in Bächen; in den Öfen zerschmolz der Stahl. Ein gewaltiger Schild wurde geformt und Scheiben auf Scheiben siebenfach geschmiedet; einige setzten die Blasbälge in Bewegung; andere verkühlten das zischende Erz im Löschtroge. Dann wurde die Masse mit der Zange umgedreht, und die Hämmernden schwangen die Arme im Takt und schlugen auf den Amboß, daß die Höhle schmetterte. –
Am andern Morgen übergab der greise Euander, der nicht selbst mit in den Krieg ziehen konnte, vierhundert arkadische Reiter, dazu den Trost und die Hoffnung seines Alters, seinen eigenen Sohn Pallas, dem scheidenden Gastfreunde und beschenkte noch außerdem alle Trojaner mit Rossen, den Äneas selbst mit dem herrlichsten, das ein gelbes Löwenfell bedeckte und dessen Klauen vergoldet waren. Dann ergriff Euander die Hand seines abziehenden Sohnes, drückte sie an die Brust und sprach unter Tränen: »Ach, daß mir Jupiter die
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