Saubere Verhältnisse
können und mit raschen Schritten das Haus Orchideenweg Nummer 9 verlassen können. Sie hätte ihr Ziel erreicht gehabt – ins Haus zu kommen und seinen Besitzer zu sehen – und wäre dann in ihr normales Leben mit Firma und Familie zurückgekehrt. Damit wäre die ganze Geschichte aus der Welt gewesen.
Aber, dachte Yvonne später, es gibt Dinge, die sitzen so tief, daß man sie nie los wird. Man geht in Kurse, man macht Therapie, man meditiert, man liest alles, was es zu dem Thema gibt, man trainiert in allen möglichen alltäglichen Situationen. Und man hat das Gefühl weiterzukommen. Man macht Fortschritte. Langsam zieht man sich hoch aus diesem Abgrund, in dem man gefangen war. Stück für Stück wird man ein erwachsener, weitsichtiger Mensch mit Wissen über sich und andere.
Dann passiert etwas. In einer Situation, die völlig entspannt und ungefährlich wirkt. Eine Bemerkung von jemandem. Ein Blick, eine Geste. Die einfachsten Dinge. Und man purzelt wieder in den Abgrund, und all die Leiterstäbe, mit deren Hilfe man sich langsam und methodisch nach oben gearbeitet hat, sausen im Bruchteil einer Sekunde an einem vorbei.
Und dann sitzt man wieder da. Auf dem Boden des Abgrunds. Im Feld Null. Mit der psychischen Reife einer Einjährigen.
In Yvonnes Fall waren die magischen, gefährlichen Worte – auch wenn sie verpackt und zurückgenommen waren, manchmal sogar nur eingebildet – diese: »Du kannst es nicht.« Sie lösten unmittelbar einen Alarm in ihr aus, und sie mußte sofort das Gegenteil beweisen. Auch wenn diese Beweise nicht nötig waren, Energie kosteten und ihr manchmal direkt schadeten.
Yvonne Gärstrand, eine erfolgreiche, gutausgebildete Frau mit eigener Firma, geriet aus der Fassung, weil ein völlig fremder Mensch andeutete, daß sie womöglich seinen Parkettboden nicht putzen könnte. Unglaublich, aber wahr.
Mit einemmal war es ungeheuer wichtig für sie, B. Ekberg von ihren Fertigkeiten im Parkettputzen zu überzeugen. Sie ratterte ihre Erfahrungen im Wohnungputzen herunter. Sie habe weiß Gott nicht bei Kreti und Pleti geputzt, sie habe unschätzbar wertvolle Rokokokommoden poliert, und wenn sie an den Intarsienboden beim Regierungspräsidenten dachte – da war sie eingesprungen, als die normale Putzfrau krank wurde –, dann war, Herr Ekberg möge entschuldigen, dieses Parkett eine Bagatelle.
Er stoppte ihren angeberischen Wortschwall mit einer dämpfenden Geste.
»Das klingt gut«, murmelte er.
Sie fand dennoch, daß er zu zögern schien, und fragte sich, ob sie nicht ein bißchen zu dick aufgetragen habe. Das mit dem Regierungspräsidenten wäre vielleicht nicht nötig gewesen.
»Haben sich schon andere beworben?« fragte sie.
»Ja, gestern hat ein Mädchen angerufen.«
Sie hatte also Konkurrenz.
»Aber sie war viel zu jung. Sie hatte gerade das Gymnasium abgebrochen.«
»Oje, oje«, seufzte Yvonne und schüttelte den Kopf. »Wie solche jungen Mädchen sind, das kann man sich ja denken. Ordnung und Sauberkeit gehören nicht zu den hervorstechendsten Eigenschaften. Lassen ihre Sachen rumliegen und geben freche Antworten. Und dann noch nicht mal die Schule beendet! Hat sich sonst noch jemand beworben?«
»Ja, eine ältere Frau. Pensioniert. Aber ehrlich gesagt, ich glaube, sie ist zu alt.«
»Natürlich ist sie zu alt! Entweder man ist pensioniert oder nicht. Sie muß natürlich ihre Rente aufbessern, manche haben ja eine sehr kleine Rente. Aber wenn Sie entschuldigen, ich persönlich finde, man sollte einen alten Menschen nicht auf diese Weise ausnützen.«
»Ja, Sie haben schon eher das richtige Alter«, gab B. Ekberg zu.
Willst du mir nicht auch noch in den Mund schauen? dachte sie. Ob ich noch alle Zähne habe?
»Sie haben also schon privat geputzt. Hätten Sie irgendwelche Empfehlungen? Entschuldigen Sie, aber es ist schon ein großes Vertrauen, wenn man jemanden so einfach in seine Wohnung läßt.«
Sie nahm eifrig das Portemonnaie aus der Tasche und holte eine ihrer eigenen Visitenkarten heraus.
»Yvonne Gärstrand, Organisationsberatung. ›Deine Zeit AG‹«, las er.
»Das ist ihre Geschäftnummer. Aber ich habe bei ihr zu Hause geputzt. Acht Zimmer. Fünf mit Parkett. Chinesisches Porzellan, das alle drei Tage abgestaubt wurde. Sie war ausgesprochen penibel. Kronleuchter mit siebenhundert Prismen …«
»Danke, danke«, B. Ekberg wedelte abwehrend mit der Hand.
»… die heruntergenommen werden mußten und in …«
»Ich bin sicher, daß Sie Ihre Arbeit
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