Saubere Verhältnisse
Farben zu erinnern, aber sie hatte offenbar alles vergessen. Sie hatte es eigentlich gar nicht gesehen. Die Anstrengung, sich wie eine fähige Putzfrau zu benehmen, hatte all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Sie erinnerte sich nur an den antiken Schrank, der poliert werden mußte, und das verfluchte Parkett, das ehrlicherweise ziemlich abgetreten war. Einen Kronleuchter? Nein, den hatte ja sie sich ausgedacht, ein Detail aus ihrer fiktiven Putzvergangenheit. Einen Kronleuchter gab es ganz bestimmt nicht.
Aber wie hatte es denn ausgesehen? Sie hatte den Eindruck von gemütlich gehabt. Aber auch … irgendwie verlassen? Diese vertrockneten – völlig toten – Pflanzen am Fenster. Und ein bißchen unaufgeräumt? Ja, genau: der große Tisch mit Papierstapeln und Büchern und Pappkartons, auch auf dem Boden.
Und B. Ekberg selbst? Vielleicht fünfundvierzig. Unangenehm überlegen. Herablassend. Aber in einem unbeobachteten Moment, als er die Tür öffnete: Verletzlich. Beinahe ängstlich.
Und sein Aussehen? Die Gesichtszüge? Nein, sie konnte sich nicht erinnern. Sein Gesicht war verschwunden.
Yvonne ärgerte sich über sich selbst. Sie hatte Dinge getan, die sie sonst nie machte: gelogen, einen falschen Namen angegeben, sich verkleidet. Sie hatte ein großes Risiko auf sich genommen, einzig und allein, um dieses Haus von innen zu sehen und seinen Besitzer kennenzulernen. Und dann hatte sie fast nichts gesehen! Was hatte sie eigentlich von ihrem peinlichen Besuch? Nur Probleme. Ein Versprechen, das sie nicht zu halten gedachte, einen Schlüssel, von dem sie nicht wußte, wie sie ihn loswerden sollte. Und ein ausgesprochen schlechtes Gewissen.
Sie nahm ein Bad mit beruhigenden Kräutern, und als Jörgen kurz darauf nach Hause kam, lag sie im Doppelbett und schaute sich einen amerikanischen Krimi im Fernsehen an. Er legte sich angezogen neben sie auf die Decke, das Hemd war am Hals offen, die Brille hatte er auf die Stirn geschoben und die Augen geschlossen. Sie drückte ihren wohlriechenden Körper durch die Decke an seinen.
»Müde?« flüsterte sie.
Er nickte. Durch die Bewegung fiel die Brille auf die Decke, aber er ließ sie liegen.
»Was hast du heute gemacht?« murmelte er schläfrig.
Yvonne dachte nach. Sie informierten sich im Prinzip gegenseitig über das meiste, was sie so machten. Die Arbeit, die Freunde, die Freizeitaktivitäten. Und natürlich Simon. Das waren die zugänglichen, gemeinsamen Bereiche, sie standen für Diskussion und Einblicke offen. Daneben hatten sie ihre privaten Zonen – Geheimzonen, wenn man so will. Bei Jörgen handelte es sich um Untreue und zweifelhafte geschäftliche Transaktionen, die er in seiner Firma neben seiner eigentlichen Anstellung betrieb.
Bei Yvonne war es der Vorort und der größte Teil ihrer Kindheit.
Und ihr Besuch bei B. Ekberg gehörte definitiv zur Privatzone. Er gehörte zum Vorort. Und zu etwas noch Privaterem, hatte Ähnlichkeiten mit Jörgens Steuertricksereien und seinen schmierigen One-Night-Stands, mit Lüge, Scham und Unmoral.
»Das Übliche, nichts Besonderes«, antwortete sie sanft. »Wie war es in Stockholm?«
Sie bekam keine Antwort, Jörgen war eingeschlafen. Sie nahm seine Brille, beugte sich über ihn und legte sie auf seinen Nachttisch. Sie machte mit der Fernbedienung den Fernseher aus, die Lampen ließ sie allerdings an. Sie lag auf der Seite, Jörgen zugewandt und betrachtete ihn zärtlich durch das gedämpfte Licht.
Sie wußte genau, in welchem Augenblick sie beschlossen hatte, ihn zu heiraten.
Es war kurz nach dem Tod ihrer Mutter gewesen, als sie die Wohnung auflösen mußte. Sie hatte seit Jahren keinen Kontakt zu ihrer Mutter gehabt und nicht gewußt, daß es die Wohnung überhaupt noch gab, sie hatte gedacht, sie wäre schon lange gekündigt. Es war nicht die große Wohnung im Zentrum, in der sie aufgewachsen war, sondern eine kleinere in einem Vorort. Die Mutter hatte dort zwischen ihren Krankenhausaufenthalten gewohnt, von einem Pflegedienst betreut, aber in den letzten Jahren hatte die Wohnung leer gestanden.
Yvonne hatte sich vor dem Augenblick gefürchtet, wo sie sich diesem Teil ihrer Vergangenheit stellen mußte, und hatte deshalb Jörgen als Stütze mitgenommen.
Zu ihrer großen Erleichterung war das meiste schon gemacht. Die Leute (der Sozialdienst?), die der Mutter beim Umzug von der großen in die kleine Wohnung geholfen hatten, hatten die meisten Möbel weggeworfen (verkauft?). Jetzt stand hier eine
Weitere Kostenlose Bücher