Schattenfeuer
Messer vor ihm hinunterblickte, als hüte es unausgesprochene Antworten.
Wallace zögerte einen Moment lang, dann drehte er das Messer mit wohlüberlegter Entschlossenheit. Schwarze Emaille und silberner Stahl wirbelten unter den Augen der beiden Männer im Kreis. Schließlich kam es langsam zum Stillstand. Obwohl Wallace eine Maske trug, hätte Mayer schwören können, dass der Mann ein finsteres Gesicht machte, doch dann lachte er unvermittelt, ein knapper, resignierter Laut. Schockierend, da Wallace niemals lachte.
»Ah, nun gut, dann sollen wir es riskieren.«
Erst jetzt fiel Mayers Blick auf das Wort, über dem die Messerspitze schwebte – London. Ein Wort aus einem Brief, den er bis dahin nicht bemerkt hatte. Er konnte nur ein paar Worte davon entziffern, ohne dass es auffiel, aber diese Worte sprangen ihm beinahe von dem Blatt Papier entgegen.
London, 1. April 1881
Verehrter Lord Archer,
Ellis hat das Geld, das Sie ihm geschickt haben, verschleudert. Er hat ein Schiff ausgerüstet, welches in einem Sturm gesunken ist. Der Schurke zwingt Miss Ellis, Kleindiebstähle zu begehen. Wir wachen natürlich über sie, aber die Gefahr, dass sie gefasst wird, wächst. Mylord, ich fürchte –
Wallace legte die Hand auf den Brief und beugte sich vor, um Mayer mit scharfen, alles sehenden Augen zu mustern. Er wirkte nicht wütend, sondern nachdenklich, oder möglicherweise rastlos. Mayer konnte ihn nur anstarren. Wallace, ein englischer Lord? Nun, er besaß auf jeden Fall die arrogante Haltung.
»Ich verlasse New York, Mayer«, sagte Wallace. »Endgültig, wie es scheint. Sobald Sie sich etabliert haben, werden Sie mich ausbezahlen.«
Wallace war gerade erst zurückgekehrt, und schon wollte er wieder … Die volle Bedeutung dessen, was Wallace gerade gesagt hatte, traf Mayer mit solcher Wucht, dass er beinahe schwankte. Er würde das Oberhaupt von Wallace Steel sein. Er, ein jüdischer armer Schlucker von der Lower East Side, das Oberhaupt eines Imperiums.
Wallace – oder vielmehr Lord Archer? – bemerkte Mayers schockierten Gesichtsausdruck und seine Augen funkelten gutmütig. »Seien Sie vorgewarnt, Mayer. Ich habe vor, einen unverschämt hohen Ablösepreis zu verlangen, um Ihr Ehrgefühl nicht zu verletzen.«
Mayer musste sich gewaltsam davon abhalten, nicht wie ein Schmock übers ganze Gesicht zu grinsen. »Überaus fair von Ihnen, Sir.«
Mit einem kleinen Schnauben wandte Wallace sich ab und nahm dabei das Messer vom Tisch. »Bereiten Sie alles vor, Mayer«, murmelte er, während er sein Spiel mit dem Messer wieder aufnahm. »Ich breche morgen mit dem Dampfschiff nach London auf.«
Und so würde New York von dem gefürchteten Archibald Wallace befreit werden.
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London, 2. Juni 1881
Das Kreischen einer Möwe begrüßte Archer, als er die einsame Landungsbrücke hinunterging und die Docks betrat. Er hatte extra dafür bezahlt, das Schiff in der tiefsten Nachtstunde zu verlassen, wenn der Nebel sich als grünliche Decke über die kalte, feuchte Stadt legte und niemand seine Ankunft bemerkte. Nichts Menschliches regte sich zu so später Stunde, in der selbst Mordgesellen sicher in ihren schmalen Betten lagen.
Die Absätze seiner Stiefel scharrten über die feuchten Bohlen des Docks, als Archer stehen blieb und seinen ersten Atemzug von London nahm. Sie brannte in der Kehle wie immer, diese dicke Brühe aus Kohle, Salzwasser, Fisch und Verwesung. Dennoch fühlte es sich gut an, vertraut. Erwartung und Nervosität zerrten an seinen Eingeweiden. Sie war hier. Aber die Männer, die ihn fortgeschickt hatten, ebenso. Es würde zu einer Abrechnung kommen, dessen war er sich sicher. Es würde aber auch einen Neuanfang geben. Denn er würde seinen Anspruch auf sie geltend machen.
Eine weitere Welle der Erregung traf ihn, und beinahe hätte er sich die Hand auf den Bauch gelegt, um sich zu beruhigen. Doch er verharrte reglos. Die Angelegenheit erforderte Geduld. Zuerst galt es, einen Haushalt einzurichten und Pläne zu schmieden, bevor er ihr gegenübertreten konnte.
Er ließ den Blick über die unförmigen Schatten von Schiffswinden und abgestellten Güterwagen schweifen, während die Schiffe hinter ihm knarrend und ächzend an ihren Ankertauen zogen. Ja, es fühlte sich alles so vertraut an, so richtig. London war seine Heimat, und hier würde er bleiben.
Die alte Stunde starb, und aus der Ferne erklang das gleichmäßige, klare Schlagen des Big Ben, das die Geburt einer neuen Stunde verkündete.
Ich
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