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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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sich denken kann. «Meiner hat gegrinst!» ruft mein Bruder von der anderen Seite. Die Wachablösung im Stechschritt, jede Richtungsänderung im Winkel von 90 Grad. Das muß man natürlich auch mal probieren, die Beine so hochzuwerfen. In einem durchsichtigen Kristallwürfel lodert das Feuer. Daß das nie ausgeht und in alle Ewigkeit brennt. «Ewig», das ist ja wohl so etwas wie «für immer». Also auch lange, nachdem man selber tot wäre? Ich hätte gerne die weißen Handschuhe von den Soldaten, die sehen aus wie für Break Dance.
    Ein Hochstand, um die gibt es sonst immer Streit zwischen uns Brüdern. Die sind nie besetzt, man weiß nicht, wann Jäger eigentlich arbeiten. An der Kante von derLuke sind immer solche Kerben für die Gewehrläufe, für jede Richtung, damit man besser zielen kann. Plötzlich trifft mich ein Schlag auf den Kopf, ich weiß nicht, woher, und ducke mich. Die Stelle blutet nicht, so stark war der Aufprall gar nicht, es war vielleicht nur ein Kienapfel. «Hierher, du Gödel!» Die Stimme kommt vom Hochstand, es ist Wolfgang. Ich klettere die Leiter hoch. Leider liegt im Häuschen kein Gewehr, es gibt nur eine Sitzbank, eine leere Bierflasche und eine Fischbüchse mit Zigarettenstummeln. Ich wollte als Kind immer Kranführer werden, dann hätte man auch so eine Kabine für sich.
    «Hast du das geworfen?»
    «Weil du so blind bist.»
    «Hast du keine Taschenlampe?»
    «Nein, ich orientiere mich an den Sternen.»
    Wir warten auf die nächsten. Wenn Holger kommt, könnten wir meinen Knaller werfen. Aber vielleicht würde Wolfgang das kindisch finden.
    «Hast du keine Angst?»
    «Man hat doch nur Angst vor seinen eigenen Phantasien. Die Wahrscheinlichkeit, daß dir jemand im Wald begegnet und sich nicht zu Tode erschreckt, sondern dir die Kehle durchschneidet, ist äußerst gering.»
    Wir sehen Dennis vorbeilaufen. Ich habe ihn bis jetzt noch nie wirklich beobachtet. Es kommt mir so vor, als würde ich ihn plötzlich als Menschen sehen, sofort tut er mir leid.
    «Was willst du eigentlich mal werden?» frage ich Wolfgang.
    «Willst du mich verarschen?»
    Anscheinend habe ich wieder etwas Falsches gesagt, aber ich weiß nicht einmal, was daran falsch war.
    «Na, was du mal studieren willst.»
    «Ich will nicht studieren.»
    «Aber was willst du später machen?»
    «Mit einer Waffe nachts durch den Wald wandern, bis in alle Ewigkeit.»
    «Wieso denn mit einer Waffe? Ich denke, du hast keine Angst?»
    «Als Notausgang.»
    Wir schweigen wieder. Ich finde das sehr unangenehm, meine Mutter macht immer überbrückende Geräusche, wenn bei Tisch zu lange geschwiegen wird. Ich grüble angestrengt, um in meinem Kopf irgendeinen Gedanken zu finden, der für ihn interessant sein könnte. Aber was bei anderen sicher gut ankommen würde, scheint mir für ihn schon vorher nicht geeignet.
    «Und was treibt dich eigentlich an?» fragt er mich.
    Was mich antreibt? Ich weiß es gar nicht. Daß immer möglichst viel Zeit bleiben soll, bis die Zukunft beginnt?
    Der nächste nähert sich. Ich zeige Wolfgang meinen Knaller. Er lacht, mit einem Geräusch wie ein Trabi-Anlasser, seltsamerweise findet er diese Idee nun gerade äußerst komisch. Er zieht den Knaller über die Reibefläche einer Streichholzschachtel. Dann hält er ihn in der Hand, ich habe Angst, daß er nicht weiß, was er tut, und rücke ein Stück weg. Der Knaller brennt und versprüht Funken, Wolfgang hält ihn aber so tief, daß von unten nichts zu sehen ist. Schließlich wirft er ihn nach Holger, der Knaller explodiert noch in der Luft, und Holger stößt einen spitzen Schrei aus, wie mit einer anderen Stimme, die der Körper nur für solche Gelegenheiten bereithält. Dieses Geräusch ist eigentlich verstörender und beängstigender, als es irgendwelche Geister sein könnten. Wir kriegen so einen Lachanfall, daß wir die Leiter vom Hochstand halbhinunterfallen. Auf dem Weg taumeln wir vorwärts und krümmen uns immer wieder vor Lachen, wie nach einem Bauchschuß. Meine Beine sind nicht mehr in der Lage, mich zu tragen, ich falle ins Gebüsch, das knackend nachgibt, bis ich weich liege. Kassiopeia erkenne ich auch noch, das ist ein «W». Der Vorname von Oma Raketes Bruder fing mit «W» an, und er hatte mit seiner Frau ausgemacht, daß sie nachts immer zu einer bestimmten Zeit zu Kassiopeia gucken, als er in der russischen Kriegsgefangenschaft war. Ich könnte mit Wolfgang auch so etwas ausmachen, ich muß ihm ja nicht verraten, daß die Idee nicht

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