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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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von mir ist.
    Beim Aufstehen sehe ich einen Mistkäfer, der auf dem Rücken liegt und verzweifelt mit den Beinen rudert. Ich drehe ihn um, das würde Peggy mir bestimmt hoch anrechnen.

32 «Stell dir mal vor, es ist nichts mehr da, wenn wir nach Hause kommen, daß unsere Heimat nicht mehr existiert», sagt Peggy.
    «Das hab ich mal bei ‹Raumschiff Enterprise› gesehen, da war die Erde vom Atomkrieg zerstört, als sie nach vielen Jahren nach Hause wollten.»
    «Ich stell mir vor dem Einschlafen immer meine Beerdigung vor, wie alle traurig sind, weil ich ihnen plötzlich so leid tue und es zu spät ist, sich bei mir zu entschuldigen.»
    «Meine Mutter sagt immer: Ihr werdet noch an meinem Grab weinen. Wie lange willst du denn noch hier oben bleiben?»
    «Bis es mir wieder gefällt.»
    «Und wenn du wiederkommst? Was willst du dann sagen?»
    «Keine Ahnung.»
    «Du kannst ja sagen, du bist entführt gewesen und darfst deine Entführer nicht verraten, weil sie uns allen sonst den Garaus machen.»
    «Wollen wir bei der Abschlußdisko zusammen tanzen?»
    «Ich kann doch gar nicht tanzen.»
    «Das kann ich dir zeigen.»
    «Du kannst doch auch nicht tanzen.»
    «Wieso?»
    «Na, weil du nie tanzt.»
    «Klar kann ich tanzen.»
    «Und warum tanzt du dann nie?»
    «Weil mich keiner auffordert.»
    «Wenn du mir Tanzen zeigst, zeig ich dir Vorhand.»
    «Man muß eigentlich nur im Rhythmus hüpfen.»
    Sie stellt sich neben mich, nimmt meine Hand, und wir hüpfen. Sie lacht wieder wie ein Meerschweinchen.
    «Du siehst aus wie von der ‹Augsburger Puppenkiste›.»
    «Tanz ich schon?»
    «Eigentlich schon.»
    «Wirklich? Mehr muß man nicht?»
    «Du kannst noch mitsingen, wenigstens die Lippen bewegen.»
    «Das mach ich immer im Musikunterricht.»
    Wir setzen uns hin und schnappen nach Luft.
    «Weißt du, woran ich denken mußte, als wir das Holz gesammelt haben?» fragt Peggy. «Als mein Opa vor dem Zweiten Weltkrieg auf dem Bahnhof in Dresden meine Oma gesehen hat, hat er sie gefragt: ‹Fräulein, darf ich ihre Kiepe tragen?› Und dann haben sie geheiratet. Warst du schon mal verliebt?»
    «Ich weiß nicht. Woran merkt man das denn?»
    «Dann warst du noch nicht verliebt.»
    «Wenn man jemanden liebt, muß man ihn ja auch noch lieben, wenn er durch einen Unfall querschnittsgelähmt ist, und auch noch, wenn ihm ein Ziegelstein auf den Kopf gefallen ist und er einen nicht mehr erkennt. Man kann doch dann nicht aufhören, ihn zu lieben, sonst müßte man immer ein schlechtes Gewissen haben, daß man den anderen gerade dann im Stich gelassen hat, als er einen am nötigsten gebraucht hat. Warum weinst du denn? Was ist denn?»
    «Nichts.»
    «Hab ich was gemacht?»
    «Nein, das ist nur alles so traurig. Mir tun die Schnecken leid, die ihr ins Feuer werfen wollt.»
    «Du darfst nicht immer so viel weinen.»
    «Es tut aber gut. Manchmal, wenn ich weinen will, stelle ich mir vor, wie die Urmenschen ein Mammutbaby in eine Falle locken und mit Steinen bewerfen, bis es tot ist. Wenn man auf dem Rücken weint, kullern einem die Tränen in die Ohren.»
    «Hast du deshalb wegen dem Vogel geweint? Weil dir Tiere so leid tun?»
    «Ja, der hat doch noch gelebt.»
    «Und bei einer Spinne, würdest du da auch weinen?»
    «Natürlich.»
    «Hast du keine Angst vor Spinnen?»
    «Doch. Aber man darf doch kein Lebewesen töten, nur weil es bequemer ist.»
    «Willst du mal im Tierpark arbeiten?»
    «Nein, da sind die Tiere doch eingesperrt. Aber ich würde gerne mal die Nase von einem Löwen anfassen.»
    Ich erinnere mich, daß ich eine Zeitlang «Verhaltensforscher»werden wollte, als ich von der Existenz dieser Forschungsrichtung gehört hatte. Ich stellte es mir einerseits aufregend, andererseits aber auch nicht allzu anstrengend vor, Tiere zu beobachten. Man konnte dann in einem nächsten Schritt vielleicht auch das Verhalten der Menschen erklären. Wahrscheinlich wollte ich nur einen Beruf, den möglichst wenige andere hatten.
    Es macht Spaß, mit Peggy zu reden, das, was ich noch sagen will, staut sich immer schon in meinem Kopf. Mir tut schon die Zunge weh. Ist das jetzt ein besonders schöner Moment im Leben? Oder war es ein paar Sekunden vorher noch schöner? Der Moment ist ja eigentlich schon vorbei, wenn man auf ihn achtet. So etwas darf ich doch in so einem Moment gar nicht denken.
    «Der große Zeh sieht immer aus wie ein Fernseher», sage ich.
    «Du bist ein komischer Vogel.»
    Wir legen uns auf den Rücken, und ich versuche, an etwas

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