Schulterwurf
»Ich will noch mal nachfragen, wo unsere Lehrer Yuuto das letzte Mal gesehen
haben.« Und schon war Lennart abgedreht und nahm Kurs auf den Direktor. Bei dem standen gerade der Hausmeister und die Vertrauenslehrer
Herr Pommes, Frau Kick und Frau Schmidt zusammen und berieten, was sie tun sollten.
»Ich habe diesen Yamaha nirgends gesehen!«, berichtete der Hausmeister gerade, als Lennart dazukam.
»Yamada Yuuto«, korrigierte der Direktor, worauf Hausmeister Rittmeier nur mit den Schultern zuckte. »Von mir aus! Jedenfalls
ist er weg!«
»Wie wär es mit einer groß angelegten Suchaktion?«, überlegte Herr Pommes.
Der Direktor zog die Augenbrauen hoch. »Wir sollten aber auch keine Panik auslösen, sondern die Sache besonnen angehen.«
Linh kam mit hängendem Kopf bei Ilka an. Den zweiten Kampf hatte sie genauso schnell verloren, wie sie den ersten gewonnen
hatte.
Lennart kehrte vom Direktor zurück zu Ilka und Linh.
»Und?«, fragte Ilka.
Lennart zuckte mit den Schultern. »So richtig fällt denen auch nichts ein. Unser Hausmeister kannte noch nicht mal Yuutos
Namen!«
Linhs Stimmung wurde immer verzweifelter. Und das unmittelbar vor ihrem dritten Kampf! Wie sollte sie nur an ihren Wettkampf
denken, solange ihre Gedanken beim Großmeister waren? Wenn ihm nun etwas zugestoßen war? Ihr fiel einfach kein vernünftiger,
harmloser Grund für sein Verschwinden ein.
»Denk einfach, deine Gegnerin hätte Yuuto entführt«, gab Ilka ihr als Tipp mit auf den Weg.
Linh erschrak. »Du glaubst, man hat Yuuto entführt?«
»Nein, nein!«, beschwichtigte Ilka schnell. »Wa rum sollte jemand einen Judo-Großmeister entführen? Und vor allem, wie? Der könnte sich doch wehren. Ich wollte nur sagen, diese
Vorstellung hilft dir vielleicht, dich in diesem Durcheinander kämpferisch auf deine Gegnerin einzustellen!«
Linh grauste vor so einer Möglichkeit, aber trotzdem wollte sie Ilkas Idee ausprobieren. Es funktionierte besser, als sie
selbst geglaubt hatte. Die Gegnerin verstand gar nicht, weshalb Linh sie schonbei der Verbeugung so böse anguckte. Noch während die Gegnerin sich darüber wunderte, sauste Linh schon auf sie los. Kein
Abtasten, kein Austarieren der Kräfte, kein Abschätzen, was die Gegnerin wohl tun würde. Linh sprang auf ihre Gegnerin zu,
packte sie, schleuderte sie herum, warf sich auf sie, klemmte sich ihren Hals zwischen die Schenkel, drückte zu und fragte
mit scharfem Ton: »Wo steckt Yuuto?«
Die Gegnerin röchelte.
Der Kampfrichter ging dazwischen, unterbrach den Kampf und bestrafte Linh. Denn Sprechen ist während des Kampfes nicht erlaubt.
Diese Regel kennt jeder und sie wird von Anfang an strengstens beachtet. Damit hatte Linh die Runde schon fast verloren. Ihr
Fehler verdeutlichte, wie groß ihre Anspannung war. Linh sammelte sich neu und versuchte ihre Gedanken im Zaum zu halten.
Der Kampfrichter gab den Kampf erneut frei. Nur mit größter Konzentration gelang es Linh, die Gegnerin schon wenig später
auf ähnliche Weise in Bedrängnis zu bringen. Sie bleib dabei: kein Abwarten, kein Rückzug! Stattdessen benutzte Linh die ganze
Verzweiflung über Yamada Yuutos Verschwinden.
Und noch ehe die Gegnerin begriff, dass der Kampf wieder begonnen hatte, war er auch schon beendet. Sieg für Linh!
»Hurra!«, jubelte Ilka.
Linh verbeugte sich vor der Gegnerin, immer noch mit verzweifelter Wut im Bauch.
»Die hat sie doch nicht mehr alle!«, beschwerte sich die Gegnerin später.
Endlich hatte Linh eine kleine Pause. Denn die Wettkämpfe wurden in zwei Teilen bestritten. Dazwischen lag eine kleine Pause
von einer halben Stunde. Linh nahm sich vor, die Zeit zu nutzen, um im Hotel anzurufen. Man konnte ja nie wissen. Vielleicht
hatte sich Yamada Yuuto aus irgendeinem Grund dorthin zurückgezogen. Vielleicht hatte ihn jemand beleidigt, ohne es zu wissen?
In der Pause durfte sie den Dojo verlassen. Bevor sie in die Umkleidekabine lief, um ihr Handy zu holen, fragte sie noch mal
bei Ilka und Lennart nach: »Und? Haben die anderen etwas erreicht?«
»Mal sehen. Da kommen sie gerade«, antwortete Ilka und zeigte auf die Eingangstür.
Jabali kam hereingelaufen, dicht gefolgt von Michael. Von Weitem zuckten sie schon mit den Schultern, was so viel hieß wie:
keine Spur vom Großmeister.
»Dann frage ich jetzt mal im Hotel«, informierte Linh die anderen, ging los und stieß mit einem Mann zusammen.
»Na, ich hoffe, ich komme nicht zu spät zum
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