Schwaben-Messe
uns im Hof.«
Sie erklärte, was hinter dem Nachbarhaus vor sich ging, bat um schnelles Eingreifen der Polizei. Ungeduldig buchstabierte sie ihren Namen, ließ sich mit ihrer Adresse und dem Geburtsdatum identifizieren.
Als sie endlich wieder aus dem Küchenfenster in den Hof blickte, war der Junge natürlich spurlos verschwunden. Nur der kleine Eimer stand noch an Ort und Stelle, direkt vor den Müllboxen.
3.
Kriminalrat Gotthold Gübler genoss den Blick aus seinem Büro im vierten Obergeschoss des Landeskriminalamts im Stuttgarter Ortsteil Bad Cannstatt. Immer, wenn er seine Augen über die nahen Berge mit ihren Rebenhängen und die Silhouette der Fabrikanlagen darunter schweifen ließ, fühlte er Stolz auf sein Beharrungsvermögen und seine Durchsetzungsfähigkeit, die es ihm ermöglicht hatten, entgegen dem ursprünglichen Willen der Amtsleitung und des Personalrats seine Arbeitsräume hier im obersten Stockwerk des langgezogenen Gebäudes einzurichten.
Unbeirrbar hatte der kleine, grauhaarige Mann bei der Neuordnung der Zimmerverteilung im letzten Winter darauf bestanden, sich und seine Mitarbeiter in einer Höhenlage zu platzieren, die ihnen einen weiten Blick über Bad Cannstatt und das Neckartal bis hin zum von der Grabkapelle der Württemberger gekrönten Rotenberg erlaubten. Er benötige das Panorama zur vollen Entfaltung seines kriminalistischen Spürsinns, hatte er allen Einwänden zum Trotz erklärt. Wer die kleine, stets in unauffällig graue Anzüge gekleidete Person kannte, wusste, dass mit ihr nicht leicht Kirschenessen war. Nach langen Querelen und viele die Arbeit des Amtes lähmenden Auseinandersetzungen hatten Güblers Widersacher schließlich resigniert und ihm das Recht auf die Zimmerflucht in der obersten Etage eingeräumt.
»Krauter, heißt die Frau wirklich Gabriele Krauter?«, vergewisserte sich Gübler am Telefon, nachdem die Kriminalpolizei in Leinfelden-Echterdingen das LKA über den Fund einer Leiche nahe dem Stuttgarter Flughafen verständigt hatte, »das ist interessant, sehr interessant!«
Er betrachtete die Rebenhänge über Bad Cannstatt und Untertürkheim und freute sich auf den neuen Wein, der in wenigen Wochen zu erwarten war.
Der Beamte am anderen Ende der Leitung konnte seine Ungeduld nicht länger zurückhalten.
»Also, was ist jetzt, übernehmen Sie die Sache, ja oder nein? Ich meine, wo die Frau einschlägig bekannt ist …«
»Aber ja«, erklärte Gübler, »Krauter, Gabriele. Selbstverständlich ist das unsere Untersuchung, ohne jeden Zweifel. Wir sind schon unterwegs.«
Er schob das Telefon zurück, verließ seinen hohen Stuhl, lief zur Tür.
»Braig«, rief er in den Nachbarraum hinein, »fertigmachen. Einsatz!«
Kriminalkommissar Steffen Braig sah missmutig von den Akten auf, die er gedankenverloren durchblätterte. Er war Mitte dreißig, groß, hatte dunkle Haare, die von etlichen grauen Strähnen durchzogen waren, arbeitete seit mehreren Jahren beim Landeskriminalamt. Normalerweise wehrte er sich nicht gegen Wochenenddienste, waren sie im Zusammenhang mit akuten Ermittlungen doch oft notwendig und wurden meist mit freien Tagen unter der Woche ausgeglichen. Er war nicht verheiratet, hatte im Moment keine Freundin, sah also keinen besonderen Grund, seine Freizeit zeitgleich mit der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung verbringen zu müssen. Im Gegenteil: Der besondere Reiz der Tätigkeit an Samstagen und Sonntagen lag in der Abwesenheit Güblers, was nicht nur eine deutliche Steigerung der Arbeitseffektivität ermöglichte, sondern auch das Betriebsklima innerhalb ihrer Abteilung in sonst unbekannte Sphären emporschnellen ließ. Gübler verstand es auf geradezu geniale Weise, selbst jeder Arbeit aus dem Weg zu gehen, seinen Untergebenen dafür aber unzählige unnötige Steine vor die Füße zu werfen.
Deshalb genoss Braig die Tage im Amt ohne Anwesenheit des Kriminalrats.
Die Arbeit der letzten Jahre hatte ihm neben dem üblichen Frust und einigen langwierigen, ergebnislosen Untersuchungen auch etliche Erfolgserlebnisse verschafft, die dazu beitrugen, sein Selbstbewusstsein spürbar zu stabilisieren. Er war sicherer geworden in der Durchführung seiner Ermittlungen, hatte sich mehr von Güblers oft wenig durchdachten Arbeitsmethoden gelöst, ihm dann und wann auch eigene konträre Fahndungswege entgegengesetzt, die durchaus zum Erfolg führten. Die Angst der ersten Monate im Amt, durch falsches Vorgehen Spuren zu verwischen, sie falsch zu bewerten oder
Weitere Kostenlose Bücher