Schwaben-Messe
den Hof, tauchte ihn in ein nebliges, unwahres Licht. Der Wind drückte die Partikel auf den Boden, direkt in ihre Richtung. Sie fühlte den Dreck in ihre Lungen dringen, spürte sofort das Stechen in der Brust und den Hustenreiz, der ihr den Hals zu sprengen drohte. Plötzlich stand er im Hof. Fast lautlos war er durch die Tür getorkelt, starrte mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen ins Feuer, vom Alkohol umnebelt, von der jähen Störung seiner Nachtruhe wie gelähmt.
Es waren keine zwei Meter. Sie schnellte in die Höhe, den Ast fest in der Hand, stürzte sich durch den Rauch, sprang auf ihn zu. Im gleichen Moment, als sie den Arm nach oben riss, drehte er den Kopf, schaute sie voller Schrecken und Verwunderung an. Irgendeine Kraft in ihr drohte sie zu bremsen, ihr den Ast aus der Hand zu reißen – eine Erinnerung an früher, ganz früher, aber sie kämpfte mit sich selbst, bezwang den Widerwillen, entschied sich zu tun, was zu tun war. Bis er begreifen konnte, was hier geschah, hatte ihn der dicke, mächtige Ast bereits zu Boden gestreckt, ein Schlag, in dem alle Aggressionen der letzten Monate gemeinsam am Werk waren, eine Wucht, die seinen Schädel beinahe in verschiedene Teile spaltete. Dann waren sie gemeinsam über ihm, trampelten, schlugen, droschen, warfen mit allen kantigen und spitzen Steinen, die sie in der unmittelbaren Umgebung fanden, auf ihn, auf seinen breiten, schweren Körper, malträtierten ihn dermaßen, dass von der Leiche wenig Menschenähnliches übrig blieb. Sie waren im Rausch, in Trance, kämpften, verausgabten sich vollkommen, ließen erst von ihm ab, als der Rest der brennenden Hütte sich vollends aus seiner Verankerung löste und zur Seite fiel, ein Teil davon auf den Oberkörper der Leiche oder besser: auf den Rest dessen, was davon noch übrig geblieben war.
Das Letzte, das ihr von dieser Nacht in Erinnerung blieb, war die Schnapsflasche, die keinen Meter neben seinen Überresten lag, halb gefüllt, unversehrt. Sie ließen von ihm ab, nahmen einen großen Stein, gemeinsam, donnerten ihn auf die Flasche. Dann rannten sie aus dem Hof, erschöpft und ausgelaugt, zitternd und verbraucht, einer neuen Zukunft entgegen.
Wieder bellte der Hund, knurrend jetzt und mit nervösem Unterton. Sie tauchte endgültig aus ihren Träumen auf, starrte auf die Uhr und versuchte, den Stand der Zeiger zu erkennen. Beide bildeten sie eine fast senkrechte Linie. Fünf Uhr oder kurz davor, dämmerte es ihr und sie überlegte, was das sonst so ruhige Tier draußen an diesem Augustmorgen so in Rage zu bringen vermochte.
Gabriele Krauter wischte sich die Augen, blickte zur Seite, wo ihre Freundin in ruhigen Zügen atmete. Sie schob vorsichtig die Decke zurück, kroch aus dem warmen Bett. Der Hund bellte immer noch, heiser und abgekämpft jetzt, mehr und mehr in ein kehliges Knurren übergehend.
Gabriele Krauter verließ das Zimmer, schloss vorsichtig die Tür. Sie schlich sich ins Bad, legte ihren Schlafanzug ab. Als sie nach draußen blickte, zeigte sich der erste Dämmerstreifen am Horizont. Der Hund stand keine dreihundert Meter vom Hof entfernt, sprang vor einem schmalen, nur schwer identifizierbaren Gegenstand hin und her und bellte aufgeregt.
Er war kein schönes Tier; das struppige, verfilzte Fell wirkte verwahrlost, die Proportionen seines Körpers widersprachen jedem ästhetischen Anspruch. Den Hund einer bestimmten Rasse zuzuordnen fiel schwer: Der muskulöse, kräftige Leib erinnerte an einen Labrador Retriever, die kurzen, dünnen Beine eher an einen Spitz. Die Abstammung des Kopfes war überhaupt nicht zu enträtseln: Eine wulstige, ständig triefende Mundpartie und das plattgedrückte Gesicht ließen am ehesten noch auf einen unappetitlich vor sich hin sabbernden Boxer als Erzeuger des Mischlings schließen.
Gabriele Krauter blickte über den Hof und die Felder, sah die vielen Fahrzeuge auf der nahen Autobahn, die trotz der frühen Stunde, Lichtkegel vor sich herschiebend, schon unterwegs waren. Das weitläufige Areal des Flughafens, wenige hundert Meter von der Straße entfernt, tauchte hell erleuchtet wie ein unwirkliches, gerade gelandetes Raumschiff aus der dämmerigen Landschaft auf. Deutlich zeichneten sich die mächtigen Leiber in Startpositionen gerollter Flugzeuge auf dem fahlen Grau der weiten Betonflächen ab. Ihre heulenden Motoren prägten das Leben auf dem Hof und den Feldern, erinnerten sie jeden Tag wieder aufs Neue an die Konsequenzen ihrer hartnäckig und mühsam
Weitere Kostenlose Bücher