Sehnsucht nach Owitambe
Hochtouren liefen.
Der ganze Distrikt sprach von dem bevorstehenden Ereignis. Von »unerhört!«, »skandalös«, »Verkafferung und Verlust der guten Sitten« bis hin zu »mutig«, »Respekt« reichte die Palette der diversen Meinungen. Es kam schließlich nicht alle Tage vor, dass Vater und Tochter gleichzeitig vor den Traualtar traten. Doch das allein war an sich nichts Anstößiges. Es gab noch viel mehr Anlass für Klatsch und Tratscherei. Johannes von Sonthofen hatte eine Affäre mit einer Himbafrau, aus der ein gemeinsamer Sohn hervorgegangen war. Das war zwar verwerflich, aber an sich nichts Ungwöhnliches, denn der Bastard hatte kaum mehr Rechte als ein gewöhnlicher Schwarzer. Aber um genau das zu ändern, hatte Sonthofen sich entschlossen, die Himbafrau zu ehelichen. Mischehen waren in den Kolonien generell verpönt. Vor allem den Nationalisten lag daran, solche Beziehungen strikt zu verbieten, weil sie ihrer Meinung nach »Schmutz« in das reine, deutsche Blut brachten und die Menschen »verkafferte«. Ein Gesetz, das Mischehen verbot, stand kurz vor dem Inkrafttreten. Aus diesem Grund hatte der Distriktchef von Otjiwarongo die Ehe zwischen Johannes von Sonthofen und der Himbafrau Sarah verbieten wollen. Doch die guten Kontakte, die Johannes schon seit längerer Zeit zu Gouverneur Leutwein unterhielt, machten sich jetzt bezahlt. Auf höchste Anweisung von oben wurde der Distriktchef gezwungen, das Paar dennoch zu trauen. Auch das andere Brautpaar war nicht ohne Makel. Die Tochter des Farmers Sonthofen würde den anschwellenden Bauch unter ihrem Brautkleid wohl kaum verbergen können.
Das alles scherte die eintreffenden Gäste wenig, und wenn, dann sprach man nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Ein Fest war schließlich ein Fest und in diesen Breiten ein willkommener Anlass, sich untereinander auszutauschen. Nach und nach trafen die Ochsenwagen der Nachbarn ein, von denen einige schon seit dem Morgengrauen über die staubigen Wege, die Pads, unterwegs gewesen waren. Einige wenige besaßen Kutschen mit Pferden und brachten die langen Strecken wesentlich komfortabler hinter sich. Samuel, der Vorarbeiter der Farm, hatte eine ganze Scheune leer geräumt, in der die Gäste ihre Tiere unterstellen konnten. Überall gab es ein großes Willkommen. Johannes begrüßte alle Gäste persönlich. Mit Rücksichtnahme auf Sarah, die keine Christin war, hatte er auf die kirchliche Trauung verzichtet.
Das Fest am heutigen Tag sollte ganz allein dem jungen Brautpaar gehören. Die meisten Nachbarn brannten darauf, Jella nun endlich kennenzulernen. Die junge Frau war erst einige Monate zuvor überraschend aus Berlin angereist und hatte sich als uneheliche Tochter aus einer früheren Beziehung Sonthofens vorgestellt. Doch bisher war die Braut nicht zu sehen. Sie bereitete sich offensichtlich noch auf das große Ereignis vor. Heute sollte die kirchliche Trauung sein. Die standesamtliche Trauung hatte bereits vor einigen Tagen in Otjiwarongo stattgefunden. Johannes und Sarah sowie Jella und Fritz hatten sie in kleinstem Kreis abgehalten.
Die ersten Gäste waren bereits vor einigen Tagen eingetroffen. Unter ihnen war auch Lisbeth Eberle, die aus Stuttgart stammende Krankenschwester, mit der Jella vor etwa einem Jahr nach Deutsch-Südwest gekommen war. Die beiden jungen Frauen hatten einige Zeit zusammen im Missionskrankenhaus in Windhuk gearbeitet und waren bestens befreundet.
Lisbeth war mindestens ebenso aufgeregt wie Jella, die
wie ein aufgescheuchtes Huhn im Bademantel durch das Haus lief.
»Wo habe ich nur das Medaillon hingelegt?«, rief Jella verzweifelt und fuhr sich mit beiden Händen in ihr aufgestecktes Haar.
»Jesus, Maria und Josef«, stöhnte Lisbeth, die das widerspenstige Haar gerade zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt hatte. »Jetzt siehst du aus wie ein gerupftes Huhn! Wir können gleich noch mal von vorn anfangen!«
Jella ließ das alles ziemlich unberührt. Sie suchte fieberhaft weiter, öffnete Schubladen, suchte hinter der Obstschale auf dem Buffet und drang dann sogar in Nancys Reich ein. Doch Nancy verwehrte ihr mit ihrer ganzen breiten Statur den Eintritt.
»Raus!«, schimpfte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen. Dabei rollten ihre schwarzen Augen gefährlich in den Augenhöhlen.
»Aber … ich muss …«, versuchte Jella ihr Anliegen vorzutragen. Doch Nancy duldete keinen Widerspruch und schob sie hinaus. Jella musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Schließlich fand
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