Shane - Das erste Jahr (German Edition)
kam eine Stimme aus dem Wohnzimmer.
Der Bruder grinste sie an. Shane verzog das Gesicht.
„Hast du verstanden!“
„Ja!“ Weiße schleimige Spucke rann aus ihrem Mund.
„Ihhh!“, machte Timmy.
Shane spuckte in das Keramikbecken. „Ich weiß, dass du meinen Kürbis genommen hast.“
„Hab ich gar nicht!“
„Schwindel nicht!“
„Ich schwindel nicht!“
„Gib ihn mir zurück, du Dämlack!“
„Mama, Shane hat Dämlack gesagt!“
„Halt die Klappe!“, zischte sie ihn an.
„Shane!“, rief die Mutter.
Shane verdrehte die Augen.
„Shane?“
„Was?“ Sie blickte ihren Bruder an.
„Warum sind deine Augen so dunkel?“
„Was?“
Der Bruder deutete mit seiner Zahnbürste auf den Spiegel.
Shane wandte den Kopf. Sie runzelte die Stirn und beugte sich langsam nach vorn. Ein bekanntes Gesicht kam ihr entgegen. Bekannt, außer …die Augen …
Shane hob die Hand zum Gesicht. Sie fuhr mit den Fingern über ihre Wange. Ihre Augen waren …anders.
Dunkel.
Schwarz.
Sie blickte den Bruder an. Der putzte unbekümmert seine Zähne.
Shane drehte sich um und lief hinaus.
Weiße Pferde aus Watte galoppierten an ihrem Fenster vorbei. Shane lag auf der Seite. Sie war immer eher wach als der Wecker, jeden Tag, sie wartete bis die Sonne aufging, sie wartete auf das Wetter.
Schließlich schwang sie die Füße aus dem Bett, verließ ihr Zimmer und schlich über den Flur. Sie blieb kurz stehen und lauschte. Nix zu hören. Dann öffnete sie die Badezimmertür, zuckte zusammen und blieb stehen.
„Hey, Kurze.“ Mark kam ihr entgegen. Er strich ihr über den Kopf. „Wie gefällt’s dir in der Hölle? Ist ’ne Freakshow, was?“
Shane lächelte kurz und sah ihm hinterher, als er die Treppe hinunterlief. Sie ging in das Badezimmer, seufzte und knipste das Licht an. Langsam ging sie zum Spiegel. Sie schluckte und trat näher. Ihre Augen kamen näher. Shane starrte sich selbst an.
Grüne Augen.
Sie schüttelte langsam den Kopf.
Max beugte sich über das linierte Papier und malte den Buchstaben nach, den er an der Tafel sah. Er musste sich wirklich sehr anstrengen, er biss sich auf die Zunge und beugte sich noch weiter über das Blatt. Der Stift in seiner Hand brach mit einem Krachen durch.
Die Jungs fingen an zu prusten. „Ey, Fettsack, du bist eindeutig zu schwer für den Stift!“
„Du hast ihn umgebracht, Fettie!“
Max funkelte die Beiden an und suchte dann in seiner Mappe nach einem neuen Stift. Von der vorderen Bank kam ihm einer entgegen.
„Danke.“
„Bitte.“, sagte Shane und schaute die Dämlacke an.
„Oh, der Fettsack muss sich von einem Mädchen beschützen lassen!“
„Haltet die Klappe!“
„Shane?“ Frau Lindenbaum sah sie fragend an und hielt die Kreide hoch.
„Ja?“
„Möchtest du etwas sagen?“
„Nein.“
„Nun, dann ist es ja gut.“ Die Lehrerin drehte sich wieder um und schrieb B’s und C’s an die schwarze Tafel.
Shane musste die Beine einziehen, doch das ging schon. Wunderbare Dunkelheit umgab sie. Und es war ruhig. Stille.
Shane zog genüsslich die Luft ein. Nur der lange Ärmel ihrer Bluse, der ihr ständig auf dem Kopf lag, nervte sie. Sie strich ihn beiseite und konzentrierte sich wieder auf ihr Mandala. Zuerst der äußerste Kreis.
Von unten drangen gedämpfte Stimmen herauf. Shane hielt den Kopf schief. Das war Mama.
Shane verdrehte die Augen.
Sie hatte sich schon zweimal vor dem Einkaufen drücken können, doch jetzt hatte Mama ein neues Problem.
Sie fand, dass Shane etwas machen sollte.
Shane fand das nervtötend. Sie machte doch etwas. Sie ging zur Schule, sie traf sich mit M und M und sie hatte ihre Mandalas. Sie hatte sogar schon schwimmen gelernt!
Mama war damals total aufgeregt gewesen, und jetzt hatte sie es schon wieder vergessen? Mama fand, dass Shane etwas machen sollte. Jeder machte etwas, Judith ging zum Turnen, Paul zum Fußball und Dana war sogar in einem Schachclub. Shane hatte keine Ahnung, was das bedeutete, doch sie verzog das Gesicht. Unten wurde es ruhig, Shane atmete auf und setzte den Rotstift auf das Papier.
Am Abend war es aus mit der Ruhe. Papa kam ins Zimmer und schob Timmy vor sich her. „Shane, er bleibt kurz bei dir, wir gehen für eine Stunde rüber zu den Nachbarn.“
„Ja, okay.“
Der Vater nickte und drehte sich um.
„Äh, Papi?“
„Ja?“
„Um acht muss ich ins Bett.“
„Vielen Dank, Shane. Ich werde pünktlich sein.“ Er zog die Tür ins Schloss.
Shane sah ihm
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