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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bagley Desmond
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Männer in dunklen und schmutzigen Baumwollhemden und Blue Jeans, die Frauen in hellen geblümten Kleidern und mit grellfarbenen Kopftüchern, und alle lachend und schnatternd wie gewöhnlich, weiße Zähne und glänzende dunkle Gesichter im Licht der untergehenden Sonne. Wie gewöhnlich fragte er sich, warum sie immer so einen glücklichen Eindruck machten.
    Sie hatten wenig Grund, glücklich zu sein. Die meisten litten unter grauenhafter Armut, die ihre örtlichen Ursachen in der Überbevölkerung und der schlechten Bodennutzung hatte. Früher einmal, im achtzehnten Jahrhundert, war San Fernandez reich an Zucker und Kaffee gewesen, ein Reichtum, um den sich die europäischen Kolonialmächte rauften. Aber in einem günstigen Augenblick, als ihre Herren anderweitig beschäftigt waren, hatten sich die Sklaven erhoben und ihr Schicksal selbst in die Hand genommen.
    Das war vielleicht gut – vielleicht auch nicht. Gewiß, die Sklaven waren frei, aber eine Serie von blutigen Bürgerkriegen, die von rücksichtslosen Machtpolitikern angezettelt wurden, schwächte die Wirtschaftskraft von San Fernandez, und der Geburtenüberschuß tat das übrige dazu. Was blieb, war ein ungebildetes Bauernvolk, das sich auf briefmarkengroßen Fleckchen Land mühselig ernährte und fast nur auf Tauschhandel angewiesen war. Man sagte, daß manche Leute im zentralen Bergland noch nie in ihrem Leben ein Geldstück gesehen hatten.
    Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts schienen sich die Verhältnisse zunächst zu bessern. Eine stabile Regierung hatte ausländisches Kapital angelockt, und Bananen und Ananas hatten die Stelle des Kaffees eingenommen, während die Anbauflächen für Zuckerrohr enorm vergrößert wurden. Das waren die guten Zeiten. Der Lohn auf den Plantagen der Amerikaner war wohl niedrig, aber er stellte ein regelmäßiges Einkommen dar, und der ständige Zustrom von Geld wirkte sich belebend auf die Insel aus. Das war die Zeit, da das Imperiale gebaut wurde und St. Pierre sich über die alten Stadtgrenzen hinaus ausdehnte.
    Aber San Fernandez schien in dem Kreislauf seiner eigenen Geschichte gefangen zu sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Serrurier, der selbsternannte ›Schwarze Star‹ der Antillen, der in einem blutigen Staatsstreich die Macht an sich riß und durch ebenso blutige Regierungsmethoden verteidigte, indem er mit Hilfe von abhängigen Gerichten, mit Mord und Armeegewalt regierte. Er hatte keine Gegner – er hatte sie alle umgebracht –, und es gab nur eine Macht auf der Insel: die schwarze Faust von Serrurier.
    Und dabei konnten die Leute immer noch lachen!
    St. Pierre war ein schäbiges Städtchen aus leicht gebauten Ziegelhäusern, Wellblech und abblätternden Wänden, und über allem lag ein durchdringender Geruch nach verrottetem Obst, faulenden Fischen, menschlichen und tierischen Exkrementen und Schlimmerem. Der Gestank war allgegenwärtig. Er durchwehte die übleren Teile der Stadt stark und war manchmal sogar in der Halle des Imperiale noch wahrnehmbar, in dem heruntergekommenen Zeugen einer besseren Vergangenheit.
    Als Wyatt sich in dem schlecht erleuchteten Raum umsah, wußte er, daß das Elektrizitätswerk der Stadt wieder einmal Schwierigkeiten hatte, und er erkannte Julie in dem Dämmerlicht erst, als sie winkte. Sie saß mit einem anderen Mann an einem Tisch, und es kam ihm plötzlich ein unsinniges deprimierendes Gefühl, das sich erst wieder legte, als er die Wärme in ihrer Stimme hörte.
    »Hallo, Dave! Ich freue mich so, dich wiederzusehen. Das hier ist John Causton – er wohnt auch hier. Er war in meiner Maschine auf dem Flug von Miami nach San Juan, und hier haben wir uns wiedergetroffen.«
    Wyatt stand unsicher da und erwartete, daß Julie sich von Causton verabschieden würde. Als sie aber nichts sagte, zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihnen.
    Causton sagte: »Miß Marlowe hat mir alles über Sie erzählt – und da ist etwas, was ich mir nicht erklären kann. Wie kommt ein Engländer dazu, hier für die US-Navy zu arbeiten?«
    Wyatt warf einen Blick zu Julie und musterte dann Causton, bevor er antwortete. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem viereckigen Gesicht, angegrauten Schläfen und klugen braunen Augen. Er war selbst Engländer, wie seine Aussprache verriet, aber man hätte sich durch seinen Palm-Beach-Anzug täuschen lassen können. »Zunächst einmal bin ich kein Engländer«, sagte Wyatt bedächtig. »Ich bin Westinder – wir sind schließlich

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